Notveräußerung von Kryptowerten nach § 111p StPO – LG Hanau, Beschluss vom 15.4.2025 (1 Qs 10/25)

Notveräußerung von Kryptowerten nach § 111p StPO – LG Hanau, Beschluss vom 15.4.2025 (1 Qs 10/25) und strafrechtliche Verteidigung in Frankfurt und bundesweit

Die Entscheidung des Landgerichts Hanau vom 15.4.2025 (1 Qs 10/25) befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen beschlagnahmte Kryptowerte nach § 111p StPO im Wege der Notveräußerung verkauft werden dürfen, um einen drohenden Wertverlust zu verhindern. Der Beschluss hat erhebliche praktische Bedeutung sowohl für die Strafverteidigung als auch für alle Beschuldigten, denen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens digitale Vermögenswerte wie Bitcoin, Ripple (XRP) oder Cardano (ADA) entzogen werden.

Die Kanzlei Buchert Jacob Peter in Frankfurt beobachtet diese Entwicklung im Wirtschaftsstrafrecht und bei Vorwürfen der Geldwäsche sehr genau, da sich hier ein eigenständiges Spezialfeld an der Schnittstelle von Kryptowährungen, Einziehungsrecht und moderner Computerkriminalität herausbildet.

Hintergrund des LG-Hanau-Beschlusses: beschlagnahmte Kryptowerte auf Ledger-Sticks

Sachverhalt: Betäubungsmittelstrafrecht, Geldwäsche und Kryptowerte

Dem Beschluss lag ein Verfahren zugrunde, in dem der Beschwerdeführer wegen schwerer Betäubungsmitteldelikte zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Im Umfeld dieses Verfahrens wurden bei seiner Mutter Kryptowerte auf sogenannten Ledger-Sticks sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft ging davon aus, dass die digitalen Währungen aus Betäubungsmittelgeschäften stammten und für eine spätere Einziehung als Taterträge benötigt würden. Neben dem Betäubungsmittelstrafrecht spielte daher der Vorwurf der Geldwäsche nach § 261 StGB eine zentrale Rolle.

Die Sicherung der Vermögenswerte erfolgte – wie bei klassischen Vermögensgegenständen – zunächst durch Beschlagnahme nach §§ 111b, 111c StPO. Was früher vor allem Bargeld, Fahrzeuge oder Immobilien betraf, erstreckt sich inzwischen selbstverständlich auch auf digitale Vermögenswerte. Die Systematik entspricht dem, was im Strafverfahren allgemein für die Vermögensabschöpfung gilt, ist aber aufgrund der technischen Besonderheiten von Kryptowährungen juristisch und tatsächlich deutlich komplexer.

Konflikt um die Notveräußerung: Eigentumsrechte versus Wertverlustrisiko

Die Staatsanwaltschaft ordnete eine Notveräußerung nach § 111p StPO an, also den Verkauf der Kryptowerte, um diese in eine staatlich gesicherte Fiatwährung umzuwandeln. Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die starke Volatilität des Kryptomarkts verwiesen: Schon innerhalb kurzer Zeit können Kurse zweistellige Prozentwerte nach oben oder unten schwanken. Der Beschwerdeführer wandte ein, die Kryptowerte gehörten ihm, seien mit legalen Mitteln erworben worden und es sei eher eine Wertsteigerung zu erwarten. Er sah sein Eigentumsrecht aus Art. 14 GG verletzt und hielt die Notveräußerung für unverhältnismäßig.

Das Amtsgericht wies seinen Antrag zurück. Gegen diese Entscheidung legte der Betroffene Beschwerde ein – mit dem Ergebnis, dass sich das LG Hanau grundlegend zur Auslegung von § 111p StPO im Zusammenhang mit Kryptowährungen äußerte. Damit ergänzt der Beschluss die bisherige Rechtsprechung zur Beschlagnahme und Verwertung von Vermögensgegenständen um eine wichtige Facette im Bereich digitaler Assets.

Rechtlicher Rahmen des § 111p StPO: erheblicher Wertverlust ab etwa 10 %

Nach § 111p StPO kann eine Notveräußerung angeordnet werden, wenn für einen beschlagnahmten Gegenstand Verderb oder ein erheblicher Wertverlust droht. In der Rechtsprechung wird ein Wertverlust von rund 10 % als erheblich angesehen. Diese Schwelle ist aus Fällen zu klassischen Vermögenswerten wie Fahrzeugen oder elektronischen Geräten bekannt und wurde vom LG Hanau ausdrücklich auf Kryptowerte übertragen.

Entscheidend ist dabei die Perspektive eines wirtschaftlich denkenden Eigentümers. Würde dieser – bei einer erwartbaren Marktentwicklung – selbst zur Veräußerung tendieren, um einen drohenden Verlust zu vermeiden, darf auch die Staatsanwaltschaft eine Notveräußerung anordnen. Das Gericht stellt klar, dass dabei nicht nur das Interesse des Staates an der Sicherung von Einziehungsansprüchen, sondern auch der Schutz des Beschuldigten vor einem totalen Wertverlust zu berücksichtigen ist. Im Hintergrund steht die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie des Art. 14 GG, die mit der strafrechtlichen Gewinnabschöpfung in ein angemessenes Gleichgewicht gebracht werden muss.

  • Kryptowerte werden wie sonstige Vermögenswerte in das System der Einziehung einbezogen.
  • Ein drohender Wertverlust von ca. 10 % kann eine Notveräußerung rechtfertigen.
  • Maßstab ist ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Eigentümer, nicht eine spekulative Langfristerwartung.
  • Strafverfolgungsbehörden müssen keine ständige Marktbeobachtung betreiben.

Für die Verteidigung ist wichtig, dass die Schwelle des drohenden erheblichen Wertverlustes im Einzelfall überprüfbar bleibt. Hier können etwa Dokumentationen der Kursentwicklung, Art der gehaltenen Token oder Besonderheiten der jeweiligen Blockchain eine Rolle spielen. Bei Stablecoins oder an Fiatwährungen gekoppelten Tokens kann sich die Bewertung anders darstellen als bei hochvolatilen Coins.

Kryptowährungen als volatiler Vermögenswert: rechtliche und ökonomische Besonderheiten

Wissenschaftlich lässt sich die Volatilität von Kryptowährungen anhand von Preisreihen, Standardabweichungen und Korrelationsanalysen nachweisen. Im Vergleich zu klassischen Anlageformen wie Staatsanleihen oder großen Aktienindizes weisen viele Kryptowerte eine deutlich höhere Schwankungsbreite auf. Tagesbewegungen von mehr als 10 % sind keine Seltenheit; in Extremphasen werden auch deutlich höhere Ausschläge verzeichnet. Dies gilt nicht nur für bekannte Währungen wie Bitcoin, sondern auch für viele Altcoins und Token mit geringerer Marktkapitalisierung.

Das LG Hanau betont, dass diese Volatilität als gerichtsbekannt angesehen werden kann. Eine förmliche Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich, weil die starken Kursschwankungen und die Unsicherheit der langfristigen Entwicklung allgemein bekannt seien. Die Strafverfolgungsbehörden sind zudem weder organisatorisch noch rechtlich darauf ausgerichtet, eine Art „Börsenabteilung“ zu unterhalten, die Crypto-Märkte in Echtzeit überwacht. Das Gericht sieht es daher als unzumutbar an, von Staatsanwaltschaften eine fortlaufende Marktbeobachtung zu verlangen, um den optimalen Verkaufszeitpunkt für beschlagnahmte Kryptowerte zu bestimmen.

Für Betroffene bedeutet dies, dass Notveräußerungen bei typischen volatilen Kryptos faktisch häufiger in Betracht kommen. Zugleich darf dies aber nicht zu einem automatischen, schematischen Vorgehen führen. Gerade mit Blick auf die Unterschiede zwischen einzelnen Token, die steuerliche Behandlung von Kryptowerten (vgl. Besteuerung von Kryptowährung) und die komplexe dogmatische Einordnung im Straf- und Steuerstrafrecht ist eine qualifizierte Strafverteidigung im Steuerstrafrecht unerlässlich.

Wer von einer Beschlagnahme von Kryptowerten und einer drohenden Notveräußerung nach § 111p StPO betroffen ist, sollte frühzeitig unsere Strafverteidiger und Fachanwälte für Strafrecht in Frankfurt – mit besonderer Erfahrung im Wirtschaftsstrafrecht und in Verfahren mit Geldwäschevorwürfen – hinzuziehen.

Für eine diskrete Ersteinschätzung Ihrer Situation, etwa bei Notveräußerung, Einziehung oder steuerstrafrechtlichen Risiken, erreichen Sie uns unter 069 710 33 330 oder per E-Mail an kanzlei@dr-buchert.de.

Praktische Konsequenzen für Beschuldigte und Verteidigung

Risiken für Betroffene: drohende Verfestigung eines „Automatismus“

Nimmt man ernst, dass bei zahlreichen digitalen Währungen erhebliche Wertschwankungen „typisch“ sind, könnte eine Notveräußerung nach § 111p StPO in vielen Fällen grundsätzlich in Betracht kommen. Aus Sicht der Betroffenen besteht die Gefahr, dass dies zu einem faktischen Automatismus führt: Sobald Kryptowerte beschlagnahmt werden, werden sie unter Verweis auf die Volatilität relativ früh verkauft. Wertsteigerungen nach dem Verkauf kämen dann allein dem Staat zugute, während Kursrallyes vor dem Verkauf sowohl den Beschuldigten als auch die Staatsanwaltschaft gleichermaßen treffen können.

Gerade in Verfahren mit hohem Einziehungsvolumen, etwa bei mutmaßlichen Betäubungsmittelumsätzen, komplexen Umsatzsteuerkarussellen oder größeren Trading-Portfolios, wird die Frage des richtigen Zeitpunkts einer Verwertung zunehmend streitentscheidend. Hinzu kommen verfahrensrechtliche Aspekte, etwa die Frage, ob der tatsächliche Eigentümer der Kryptowerte hinreichend einbezogen wurde, ob der Tatverdacht tragfähig ist und ob die angeordneten Maßnahmen verhältnismäßig sind.

Ansatzpunkte der Strafverteidigung bei Notveräußerung von Kryptowerten

Aus Verteidigungssicht bieten sich verschiedene Ansatzpunkte, um eine Notveräußerung zu verhindern oder ihre Folgen zu begrenzen:

  • Prüfung des anfänglichen Tatverdachts und der Voraussetzungen der Ermittlungsakte sowie der Akteneinsicht.
  • Kontrolle der formellen Voraussetzungen der Beschlagnahme und der Dokumentation der Kryptowerte.
  • Argumentation zur Art des Tokens (z. B. Stablecoins vs. hoch volatile Coins) und zur tatsächlichen Wahrscheinlichkeit eines Wertverlustes.
  • Prüfung, ob mildere Mittel zur Sicherung der Einziehungsansprüche bestehen, etwa Sperrung von Wallets ohne sofortige Verwertung.
  • Absicherung der Rechte des Beschuldigten, insbesondere beim Auskunftsverweigerungsrecht und im weiteren Strafverfahren.

Gerade in Verfahren mit technischer Komplexität – etwa mehreren Wallets, Mixing-Services, DeFi-Protokollen oder Smart Contracts – ist ein frühzeitiger Schulterschluss zwischen spezialisierten Strafverteidigern und IT-/Krypto-Experten sinnvoll. So können Kursverläufe, Transaktionshistorien und Eigentumsverhältnisse fundiert aufgearbeitet und in die Verteidigungsstrategie integriert werden.

Strafverteidigung bei Kryptoverfahren in Frankfurt und bundesweit

Die Anwältinnen und Anwälte von Buchert Jacob Peter verteidigen seit vielen Jahren Mandanten in komplexen Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren, die zunehmend auch digitale Vermögenswerte betreffen. Dazu gehören neben Kryptoverfahren wegen mutmaßlicher Geldwäsche oder Betruges auch Konstellationen mit kapitalmarktnahen Tokens, in denen Elemente des Kapitalmarktstrafrechts eine Rolle spielen.

Unser Fokus liegt auf einer konsequenten und zugleich realistischen Strafverteidigung, die sowohl die klassische Dogmatik des Strafprozessrechts als auch die ökonomischen und technischen Besonderheiten von Kryptowährungen berücksichtigt. Wir begleiten Mandanten vom ersten Anfangsverdacht über Durchsuchung und Beschlagnahme bis hin zur Hauptverhandlung und einem möglichen Urteil.

Mandanten aus ganz Deutschland wenden sich an unsere Kanzlei in Frankfurt, wenn es um drohende Einziehung, Notveräußerung oder steuerstrafrechtliche Risiken im Zusammenhang mit Kryptowerten geht. Dank der bundesweiten Ausrichtung unserer Arbeit können wir Verteidigung in allen Verfahrensstadien koordinieren – von der ersten Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft bis zur strategischen Vorbereitung eines komplexen Einziehungsverfahrens.

FAQ zur Notveräußerung von Kryptowerten nach § 111p StPO

Was bedeutet Notveräußerung nach § 111p StPO bei Kryptowerten?
Unter einer Notveräußerung versteht man den Verkauf eines beschlagnahmten Vermögensgegenstandes, wenn ein erheblicher Wertverlust droht. Beim Handel mit Kryptowährungen kann dies aufgrund der typischen Kursschwankungen bereits dann angenommen werden, wenn Verluste von mehr als etwa 10 % realistisch zu erwarten sind.

Muss die Staatsanwaltschaft ein Gutachten zur Volatilität einholen?
Nach der Entscheidung des LG Hanau ist dies bei typischen, volatilen Kryptowährungen regelmäßig nicht erforderlich. Die starke Schwankungsanfälligkeit der Kurse wird als gerichtsbekannt angesehen. Gleichwohl kann die Verteidigung im Einzelfall argumentieren, dass die konkrete Währung oder Struktur des Portfolios anders zu bewerten ist.

Was kann ich tun, wenn meine Kryptowerte beschlagnahmt und verkauft werden sollen?
Betroffene sollten frühzeitig spezialisierte Strafverteidiger hinzuziehen, die die Entscheidungsvoraussetzungen prüfen, die Dokumentation der Vermögenswerte kontrollieren und – falls erforderlich – gerichtliche Rechtsmittel gegen die Anordnung der Notveräußerung einlegen. Auch die spätere Einziehungsentscheidung und deren wirtschaftliche Folgen lassen sich so gezielt vorbereiten.

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