Scheinselbständigkeit – § 266a StGB

Die Anwendung von § 266a StGB zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit wirft verschiedene Probleme auf.

I. Scheinselbstständigkeit – Sozialrecht

1. Arbeitnehmerbegriff

Der Ausgangspunkt für die rechtliche Überprüfung, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, ist der Arbeitnehmerbegriff. Dieser Begriff wird seit dem 1. April 2017 durch § 611a BGB legaldefiniert, aufbauend auf der jahrelangen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Gemäß § 611a BGB ist Arbeitnehmer, wer im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.

Definition laut § 611a BGB

  1. Weisungsgebundenheit: Die Weisungsgebundenheit bezieht sich auf Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit.
  1. Gestaltung der Tätigkeit: Ein Arbeitnehmer kann seine Tätigkeit und Arbeitszeit nicht im Wesentlichen frei gestalten.
  1. Grad der persönlichen Abhängigkeit: Diese kann je nach Art der Tätigkeit variieren.

Für die Feststellung, ob ein Arbeitsvertrag vorliegt, ist eine Gesamtbetrachtung aller Umstände notwendig. Die Rechtsprechung zieht dabei verschiedene Gesichtspunkte heran, darunter:

  • Weisungsrecht hinsichtlich des Arbeitsortes
  • Zeitliche Weisungsgebundenheit
  • Fachliche Weisungsgebundenheit
  • Eingliederung in den Betrieb
  • Leistungserbringung nur in eigener Person
  • Verpflichtung, angebotene Aufträge anzunehmen
  • Unternehmerisches Auftreten am Markt
  • Einheitliche Behandlung von freien Mitarbeitern und Festangestellten
  • Aufnahme in einen Dienstplan
  • Berichterstattungspflichten
  • Einsatz der gesamten Arbeitskraft
  • Dauerhaftes Vertragsverhältnis
  • Konkurrenzverbot
  • Überdurchschnittliche Vergütung

Sozialversicherungsrechtliche Perspektive: § 7 Abs. 1 SGB IV

Parallel zu der arbeitsrechtlichen Definition ist auch § 7 Abs. 1 SGB IV relevant, der den Begriff „Beschäftigung“ aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht definiert. Demnach ist Beschäftigung eine nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Indizien für eine solche Beschäftigung sind:

  • Tätigkeit nach Weisungen
  • Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers

Obwohl der Wortlaut von § 7 Abs. 1 SGB IV nicht identisch mit dem von § 611a BGB ist, stimmt die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) weitgehend mit der des BAG überein. Zwar können einzelne Kriterien unterschiedlich gewichtet werden, diese sind jedoch weitgehend identisch.

II. Scheinselbstständigkeit – Strafrecht

Neben der klassischen Schwarzarbeit wird § 266a StGB auch auf die Beschäftigung von Scheinselbstständigen angewendet.

Ein zentraler Aspekt dieser Vorschrift ist die Definition der Begriffe „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“. In der Praxis greifen Strafgerichte dabei auf die Grundsätze des Sozialversicherungsrechts (oben) zurück.

Diese Vorgehensweise lässt den Gerichten einen erheblichen Ermessensspielraum, sowohl bei der Auswahl als auch bei der Gewichtung der Kriterien. Dies erklärt, warum vergleichbare Fälle von verschiedenen Sozialgerichten unterschiedlich beurteilt werden können.

Objektiver Tatbestand

Bei der Prüfung nach § 266a StGB berücksichtigen die Strafrichter zunächst die Kriterien der Sozialgerichte, um festzustellen, ob eine Scheinselbstständigkeit vorliegt. Dies umfassen auch die oben genannten Merkmale und die daraus resultierenden Abhängigkeiten.

Subjektiver Tatbestand – Vorsatz

Da § 266a StGB ein Vorsatzdelikt ist, muss darüber hinaus der subjektive Tatbestand erfüllt sein. Dies bedeutet, dass bedingter Vorsatz vorliegen muss – der Täter muss zumindest in Kauf genommen haben, dass er die Tatbestandsmerkmale verwirklicht.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat sich in der Entscheidung vom 24. September 2019 ausdrücklich von der bisherigen strengen Rechtsprechung zum Vorsatz bei § 266a StGB verabschiedet: Ein vorsätzliches Handeln im Sinne des § 266a StGB wird nur noch dann angenommen, wenn der Arbeitgeber nicht nur die tatsächlichen Umstände kennt, sondern auch die rechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts nachvollzogen hat. Dies bedeutet, dass ein Tatbestandsirrtum, der den Vorsatz ausschließt möglich ist.

In Fällen, in denen die Indizien für Scheinselbstständigkeit eindeutig überwiegen und die sozialversicherungsrechtliche Bewertung klar auf der Hand liegt, wird der bedingte Vorsatz weiterhin regelmäßig bejaht. Arbeitgeber, die wissentlich Verträge so gestalten, dass sie die Anstellung von Scheinselbstständigen verschleiern, werden nach wie vor strafrechtlich verfolgt. Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitsvertrag bewusst dazu dient, eine abhängige Beschäftigung zu verschleiern, durch eine scheinbare Selbstständigkeit bei gleichzeitiger Weisungsgebundenheit und Integration in den Arbeitsprozess.

Anders verhält es sich in weniger klaren Fällen, in denen sowohl Merkmale der Selbstständigkeit als auch der abhängigen Beschäftigung vorliegen. Alleine die objektive Entscheidung des Richters zugunsten einer Scheinselbstständigkeit rechtfertigt nicht mehr automatisch den Schluss auf bedingten Vorsatz des Arbeitgebers.

 

Benötigen Sie eine Rechtsberatung?
Wir beraten und vertreten Privatpersonen und Unternehmen in Ermittlungsverfahren und Strafverfahren bundesweit und vor allen Gerichten. Profitieren Sie von unserer langjährigen Erfahrung und unserer Kompetenz in Sachen Strafverteidigung.