Haftbefehl in der StPO – Sitzungshaftbefehl, Untersuchungshaft & internationale Bezüge
Ausführliche Zusammenfassung
Sitzungshaftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO
Der sog. „Sitzungshaftbefehl“ dient der Sicherung des Erscheinens, wenn eine bloße Vorführungsanordnung nicht genügt. Für seinen Erlass sind – über die Verhandlungsversäumnis hinaus – weder dringender Tatverdacht noch ein Haftgrund der §§ 112 ff. erforderlich. Der Beschluss wird in der Hauptverhandlung protokolliert (§ 273 I) oder außerhalb schriftlich erlassen (§ 114 I). Aufzunehmen sind Personalien, eine kurze Tatbeschreibung mit Gesetzesbezeichnung und die unentschuldigte Abwesenheit. Er unterliegt zeitlichen Schranken: §§ 121, 122 StPO finden keine Anwendung, jedoch gebieten Verhältnismäßigkeit und Übermaßverbot enge Grenzen. Bei großem zeitlichen Abstand zum nächsten Termin sollte die Vollstreckung erst terminnah angeordnet werden; eine Inhaftierung über die reguläre Unterbrechungshöchstfrist von drei Wochen (§ 229 I) hinaus ist unverhältnismäßig. Die Vollstreckung kann in geeigneten Fällen analog §§ 116 ff. ausgesetzt werden. Der Sitzungshaftbefehl erledigt sich grundsätzlich mit Ende der Hauptverhandlung; in langen Verfahren ist seine fortdauernde Verhältnismäßigkeit regelmäßig zu prüfen.
Allgemeines zum Untersuchungshaftbefehl (§ 114 StPO)
Formelle Voraussetzung der Untersuchungshaft ist der schriftliche, vom Richter erlassene Haftbefehl (§ 114 I) als Rechtsgrundlage für Vollstreckung und Fahndung. Inhalt und Begründungspflichten regeln § 114 II, III. Zuständig ist der jeweils funktionell zuständige Richter (§ 125). Auch ein Haftbefehl nach § 230 II muss den Anforderungen des § 114 II entsprechen; bei Haftfortdauer (§ 268b) genügt ein bloßer Verweis auf frühere Haftbefehle regelmäßig nicht, wenn sich die Verurteilung wesentlich unterscheidet.
Form & Schriftlichkeit
Der Haftbefehl ist schriftlich zu erlassen und zu unterschreiben; eine mündliche Verkündung ist möglich, die schriftliche Ausfertigung ist unverzüglich nachzuholen. Aufnahme in ein Protokoll ist zwar zulässig, aber unzweckmäßig, da dem Beschuldigten eine Abschrift auszuhändigen ist (§ 114a II). Muster dürfen genutzt werden, die Einzelfallprüfung muss gewahrt bleiben.
Haftanordnung & Begründungszweck
Die ausdrückliche Haftanordnung ist notwendiger Bestandteil; fehlt sie, ist der Haftbefehl nicht vollstreckungsfähig. Die Begründungspflicht dient Selbstkontrolle des Gerichts, Information des Beschuldigten/Verteidigers und Rechtsmittelkontrolle; sie konkretisiert den Anspruch auf rechtliches Gehör und legt die tatsächliche/rechtliche Eingriffsgrundlage offen.
Personalien
Der Beschuldigte ist zweifelsfrei zu identifizieren (Name, Geburtsdaten, Anschrift; bei Bedarf Staatsangehörigkeit, Alias, Personenbeschreibung oder Bezug auf Aktenfoto).
Tatbeschreibung, Ort & Zeit
Der Lebenssachverhalt ist in anklagesatzähnlicher Weise so darzustellen, dass jedes Tatbestandsmerkmal erkennbar abgebildet ist; Qualifikationen, Teilnahmeformen und Versuch sind zu benennen. Ort und Zeit sind anzugeben; ungefähre Angaben genügen, wenn Zuständigkeit, Verjährung und Tatidentität prüfbar bleiben. Reine Aktenverweise sind unzureichend, es sei denn, die Urkunde ist beigefügt.
Rechtsgrundlagen & Haftgrund
Die anzuwendenden Strafnormen (inkl. Teilnahme/Versuch/Konkurrenzen) sind zu zitieren. Der Haftgrund (z. B. Flucht-, Verdunkelungs-, Wiederholungsgefahr) ist zu bezeichnen; nicht zwingend müssen alle denkbaren Haftgründe herangezogen werden. Bei Jugendlichen ist zusätzlich zu begründen, warum mildere Maßnahmen nicht ausreichen.
Tatsachengrundlage & Ausnahmen
Die tragenden Tatsachen für dringenden Tatverdacht und Haftgrund sind komprimiert mitzuteilen; Beweismittelbenennung ist regelmäßig angezeigt. Bei Gefährdung der Staatssicherheit kann die Begründung eingeschränkt werden; die richterliche Überzeugungsbildung bleibt unberührt.
Anpassung & Umfang
Der Haftbefehl ist anzupassen, wenn sich Verdachtslage, Haftgründe oder Tatvorwürfe wesentlich ändern; ein Wechsel des Haftgrundes setzt vorherige Anhörung voraus. Er kann auf „sichere Fälle“ oder gewichtige Taten beschränkt werden, sofern keine sachfremden Gründe entgegenstehen.
Verfahren, Antrag & Anhörung
Im Ermittlungsverfahren bedarf es grundsätzlich eines Antrags der Staatsanwaltschaft; bei Gefahr im Verzug ist er ausnahmsweise entbehrlich. Nach Anklageerhebung kann das Gericht von Amts wegen anordnen. Zur Anhörung gelten die speziellen Vorschriften (§ 114b).
Vollstreckung & Durchsuchung
Vollstreckung durch Fahndung, Festnahme und Einlieferung in die JVA; zuständig ist die Staatsanwaltschaft, unterstützt durch Polizei/Ermittlungspersonen. Der Haftbefehl ermächtigt zugleich zur Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten; für fremde Wohnungen gelten §§ 103, 105 StPO.
Immunität & internationale Bezüge
Bei Abgeordneten ist die Immunität zu beachten (Art. 46 II GG); Verhaftung setzt außer beim „frischen Tat“-Ausnahmefall eine Genehmigung voraus. Für **Auslieferungsersuchen** und den **Europäischen Haftbefehl** enthalten die RiVASt (Nr. 94, 162) Vorgaben zu Inhalt/Formular und Aktualität.
Weiterführende Informationen & Hilfe
Mehr Hintergründe zu Ablauf und Rechten im Ermittlungsverfahren, zur Durchsuchung sowie zu Haftbefehl und Untersuchungshaft. Sofortige Unterstützung bietet unsere Seite zur Strafverteidigung.
FAQ zum Haftbefehl
Was unterscheidet den Sitzungshaftbefehl vom Untersuchungshaftbefehl?
Der Sitzungshaftbefehl (§ 230 II StPO) sichert das Erscheinen nach unentschuldigtem Fernbleiben und setzt weder dringenden Tatverdacht noch einen Haftgrund der §§ 112 ff. voraus. Der Untersuchungshaftbefehl (§ 114 ff. StPO) erfordert beides.
Welche Mindestangaben muss ein Haftbefehl enthalten?
Identität des Beschuldigten, präzise Tatbeschreibung inkl. rechtlicher Bezeichnung, Ort/Zeit (ggf. approximativ), anzuwendende Vorschriften sowie der Haftgrund; dazu eine Begründung der tragenden Tatsachen.
Wie lange darf ein Sitzungshaftbefehl vollstreckt werden?
Es gelten keine §§ 121/122 StPO, dennoch begrenzen Verhältnismäßigkeit und Übermaßverbot die Dauer. Terminferne Vollstreckung ist zu vermeiden; über drei Wochen (§ 229 I StPO) hinaus ist regelmäßig unverhältnismäßig.
Wer beantragt den Haftbefehl?
Im Ermittlungsverfahren grundsätzlich die Staatsanwaltschaft.
Ermächtigt ein Haftbefehl zur Wohnungsdurchsuchung?
Ja, für die Wohnung des Beschuldigten; für fremde Wohnungen gelten die besonderen Voraussetzungen der §§ 103, 105 StPO. Siehe auch Durchsuchung.
Was gilt bei Abgeordneten?
Die Immunität ist zu beachten (Art. 46 II GG). Außer im „frisch Tat“-Fall bedarf die Verhaftung der Genehmigung des Bundestags bzw. des zuständigen Parlaments.
Was sollte ich bei einem Haftbefehl tun?
Unverzüglich spezialisierte Verteidigung einschalten, keine Einlassung ohne Akteneinsicht. Hilfreich: Strafverteidigung und das Ermittlungsverfahren im Überblick.
Kontakt
Buchert Jacob Peter – Fachanwälte für Strafrecht in Frankfurt am Main, bundesweit tätig.
Telefon: 069 710 33 330 · E-Mail: kanzlei@dr-buchert.de
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