Definition und Bedeutung
Ein dringender Tatverdacht liegt vor, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine spätere Verurteilung des Beschuldigten besteht. Die Untersuchungshaft dient ausschließlich der Sicherung des staatlichen Strafanspruchs und verliert ihre Legitimation, wenn diese Wahrscheinlichkeit nicht mehr gegeben ist.
Prognose des Tatverdachts
Der dringende Tatverdacht stellt eine höhere Anforderung an den Verdachtsgrad dar, um die Verhaftung als gravierenden Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit zu rechtfertigen. Im Gegensatz zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, wo bereits ein einfacher Anfangsverdacht auf konkreten Tatsachen Basis reicht (§§ 160 Abs. 1, 152 Abs. 2), erfordert der dringende Tatverdacht eine größere Wahrscheinlichkeit einer strafbaren Handlung.
Der dringende Tatverdacht ist intensiver als der hinreichende Tatverdacht, der gemäß § 203 für die Eröffnung des Hauptverfahrens erforderlich ist. Während eine positive Beurteilung des hinreichenden Verdachts vorliegt, wenn eine Verurteilung in der Hauptverhandlung wahrscheinlich erscheint (OLG Köln StV 1991, 304), fordert § 112 Abs. 1 S. 1 für den Erlass eines Haftbefehls eine „große Wahrscheinlichkeit“ (BGH StV 2008, 84; Kühne NJW 1979, 617).
Zwar bedeutet die Verwendung des Begriffs „dringend“ eine Steigerung im Vergleich zum „hinreichend“ (Schmidt StPO Nachtrag Rn. 4), jedoch sind beide Verdachtsgrade regelmäßig auf unterschiedliche Zeitpunkte bezogen. Der hinreichende Tatverdacht wird beim Abschluss der Ermittlungen geprüft und kann sich somit auf umfassende Erkenntnisse stützen. Im Gegensatz dazu wird der dringende Tatverdacht im Kontext der oft noch unvollständigen Ermittlungen zum Zeitpunkt des Haftbefehlsantrags oder der Überprüfung durch einen Haftbeschwerde entschieden (OLG Celle StV 1986, 392; OLG Brandenburg StV 1996, 157).
Es ist wichtig zu beachten, dass ein zunächst bestehender dringender Verdacht im Verlauf der Ermittlungen schwächer werden oder ganz entfallen kann.
Verurteilungswahrscheinlichkeit
Die Entscheidung über den dringenden Tatverdacht basiert auf der zu einem bestimmten Zeitpunkt vorliegenden Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung. Die Überzeugung des Haftrichters ist entscheidend, wobei dieser in die Zukunft blickt und die gegenwärtige Beweislage als Grundlage für seine Prognose nutzt.
Subjektive und objektive Kriterien
Die richterliche Überzeugung muss intersubjektiv plausibel sein und die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung höher gewichten als den Freispruch. Auch das Vorliegen von Rechtfertigungs-, Schuld- oder Strafaufhebungsgründen ist für die Annahme des dringenden Tatverdachts relevant: Ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit muss für das Fehlen dieser Einwendungen gegeben sein.
Tatsächliche Beweismittel
Nur solche Tatsachen und Beweismittel, die zum Zeitpunkt der Haftentscheidung vorliegen und unmittelbar mit dem Tatvorwurf zusammenhängen, können in die Entscheidung einfließen. Vermutete oder zu erwartende Beweisergebnisse bleiben unberücksichtigt.
Haftprüfung und Verteidigungsstrategie
Im Ermittlungs- und Zwischenverfahren wird die Beweislage seitens der Verteidigung sowie Informationen aus verschiedenen Quellen, wie dem Haftbefehl oder von Ermittlungsbehörden, intensiv geprüft. Auch die Akteneinsicht ist essenziell, um eine fundierte Verteidigungsstrategie zu entwickeln und eine potentielle Intervention im Verfahren zu planen.
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