Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme von Datenträgern – LG Gera, Beschluss vom 11.6.2025 (1 Qs 187/25)

Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme von Datenträgern – LG Gera, Beschluss vom 11.6.2025 (1 Qs 187/25) und strafrechtliche Verteidigung in Frankfurt

Die Entscheidung des Landgerichts Gera vom 11.6.2025 (1 Qs 187/25) setzt wichtige Maßstäbe für die Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme und Auswertung digitaler Datenträger. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie lange Geräte wie Computer, Tablets, Smartphones oder Festplatten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens einbehalten werden dürfen, bevor der Eingriff in Eigentums- und Persönlichkeitsrechte unzulässig wird. Die Entscheidung ist für die Strafverteidigung von erheblicher praktischer Bedeutung – gerade in Verfahren mit sensiblen Vorwürfen und umfangreicher digitaler Beweisaufnahme.

Die Kanzlei Buchert Jacob Peter in Frankfurt vertritt bundesweit Mandanten, bei denen im Zuge einer Durchsuchung private oder berufliche Datenträger beschlagnahmt und über lange Zeiträume nicht zurückgegeben werden. Der Beschluss des LG Gera zeigt deutlich: Auch bei schweren Vorwürfen gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der verfassungsrechtlich garantierte Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG.

Hintergrund der Entscheidung: lange Auswertung beschlagnahmter Datenträger

Ausgangspunkt: Durchsuchung, Beschlagnahme und Auswertung bei Verdacht von Cyber- und Sexualdelikten

Im zugrunde liegenden Fall ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts der Verbreitung kinderpornografischer und jugendpornografischer Dateien. Auf Basis eines standardisierten Hinweises einer ausländischen Ermittlungsbehörde ordnete das Amtsgericht eine Wohnungsdurchsuchung und die Beschlagnahme diverser Datenträger nach § 94 StPO an. Die Sicherstellungen erfolgten im Mai 2022. Die Datenträger wurden zunächst bei der Kriminalpolizei, anschließend beim Landeskriminalamt ausgelesen und ausgewertet.

Der Fall verdeutlicht eine typische Konstellation moderner Strafverfahren: Immer größere Datenmengen, komplexe digitale Spuren und eine starke Abhängigkeit der Ermittlungsbehörden von spezialisierten IT-Auswertungen. Die gesetzliche Grundlage für die Durchsicht digitaler Datenträger findet sich in § 110 StPO, der es erlaubt, umfangreiche Dateninhalte zu sichten, wenn sie als Beweismittel in Betracht kommen. Zugleich wirkt die Beschlagnahme massiv in das Eigentumsrecht und – aufgrund der vorhergehenden Wohnungsdurchsuchung – in den Schutzbereich des Art. 13 GG ein.

Verfahrensgang: Sachstandsanfragen, Überlastung der Behörden und Feststellungsantrag

Obwohl die Staatsanwaltschaft mehrfach auf eine beschleunigte Auswertung drängte, zogen sich die Arbeiten über einen Zeitraum von insgesamt rund zwei Jahren und zehn Monaten hin. Die Verteidigung stellte Sachstandsanfragen und beantragte schließlich eine gerichtliche Feststellung, dass die fortdauernde Beschlagnahme unverhältnismäßig sei. Die Ermittlungsrichterin lehnte dies mit dem Hinweis ab, die Behörden seien überlastet, eine Auswertung benötige erfahrungsgemäß sehr viel Zeit und der Tatverdacht bestehe fort.

Erst Ende 2024 lag ein Auswertebericht vor. Gefunden wurde lediglich eine einzelne kinderpornografische Datei. Weitere Nachermittlungen betrafen noch ein Tablet, dessen vollständige Auswertung unklar war. Anstatt die Datenträger nach Anfertigung von Kopien zurückzugeben, blieb ein Teil weiterhin sichergestellt. Vor diesem Hintergrund rügte der Beschwerdeführer nicht die Herausgabe der Datenträger, sondern ausdrücklich die Verhältnismäßigkeit der andauernden Maßnahme und machte sein Recht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG geltend.

Rechtliche Würdigung des LG Gera: zeitliche Grenzen der Beschlagnahme

Das LG Gera erkannte ein Feststellungsinteresse an, obwohl der Eingriff bezüglich einzelner Datenträger prozessual bereits erledigt war. Bei schweren Grundrechtseingriffen – wie der langfristigen Beschlagnahme von IT-Geräten im Anschluss an eine Wohnungsdurchsuchung – müsse der Betroffene auch nachträglich die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung haben. Das Gericht stellte klar, dass die Befugnis, Datenträger zum Zwecke der Durchsicht einzubehalten, nicht „uferlos“ sei. Vielmehr müsse jede Beschlagnahme – auch bei schweren Vorwürfen – fortlaufend am Maßstab der Verhältnismäßigkeit gemessen werden.

Bereits ab einer Dauer von mehr als einem Jahr können, so das Gericht, ernsthafte Zweifel an der Verhältnismäßigkeit aufkommen, wenn keine besonderen Umstände vorliegen. Eine Auswertung, die sich – wie hier – über nahezu drei Jahre erstreckt, sei in der Regel nicht mehr akzeptabel. Das LG Gera betont, dass organisatorische oder personelle Engpässe bei Polizei und Staatsanwaltschaft nicht zulasten des Betroffenen gehen dürfen. Überlastung kann die Verzögerung erklären, sie rechtfertigt aber keinen dauerhaften Grundrechtseingriff.

  • Beschlagnahme und Durchsicht von Datenträgern sind nur solange zulässig, wie sie zur Sachaufklärung erforderlich und verhältnismäßig sind.
  • Personelle Engpässe oder Überlastung der Ermittlungsbehörden dürfen sich nicht zulasten des Beschuldigten auswirken.
  • Der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG verlangt eine gerichtliche Überprüfung auch bei prozessual „erledigten“ Maßnahmen.
  • Die Intensität des Eingriffs – etwa psychische Belastung und Stigmatisierung – ist bei der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen.

Im konkreten Fall wog das Gericht die Schwere des Tatvorwurfs, die überschaubare Datenmenge, die fehlende Verschlüsselung der Geräte und die lange, kaum begründete Verfahrensdauer gegeneinander ab. Angesichts der zu erwartenden Rechtsfolgen im Falle einer Verurteilung und des Umstands, dass nur eine einzelne belastende Datei festgestellt werden konnte, war der fortdauernde Eingriff nicht mehr zu rechtfertigen.

Wer nach einer Durchsuchung mit der Beschlagnahme von Datenträgern konfrontiert ist und erlebt, dass die Auswertung über Monate oder Jahre andauert, sollte frühzeitig unsere Strafverteidiger und Fachanwälte für Strafrecht in Frankfurt hinzuziehen. Wir prüfen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, begleiten Sie im gesamten Strafverfahren und machen Ihre Rechte – auch im Beschwerdeweg – geltend.

Für eine diskrete Ersteinschätzung, etwa nach Wohnungsdurchsuchung, Beschlagnahme oder lang andauernder Auswertung digitaler Beweismittel, erreichen Sie uns unter 069 710 33 330 oder per E-Mail an kanzlei@dr-buchert.de.

Grundrechtsschutz, effektiver Rechtsschutz und Rolle der Strafverteidigung

Die Entscheidung des LG Gera ist auch grundrechtlich bedeutsam. Sie knüpft an die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung an, nach der schwere Eingriffe – etwa in das Eigentum, in die Unverletzlichkeit der Wohnung oder in das allgemeine Persönlichkeitsrecht – einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle zugänglich sein müssen. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert, dass sich Betroffene gegen überlange oder unverhältnismäßige Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden wehren können.

Gerade bei digitalen Datenträgern ist der Eingriffsgehalt besonders hoch: Auf ihnen befinden sich oft intime Fotos, Kommunikationsverläufe, berufliche Unterlagen und höchstpersönliche Informationen. Eine langfristige Beschlagnahme kann die Lebensführung erheblich beeinträchtigen, berufliche Existenzen gefährden und zu starker psychischer Belastung führen. Dies gilt umso mehr bei Delikten mit Sexualbezug, bei denen schon der Verdacht zu einer erheblichen Stigmatisierung führen kann.

Eine spezialisierte Strafverteidigung hat hier mehrere Aufgaben: Sie sorgt für frühzeitige Akteneinsicht, prüft die Reichweite von Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln, überwacht Fristen und setzt verfassungsrechtliche Grenzen von Maßnahmen durch – etwa durch Beschwerden gegen Beschlagnahmebeschlüsse oder Anträge auf gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit. Wird die Verhältnismäßigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg missachtet, können auch Fragen der Kostentragung und Entschädigung eine Rolle spielen (§§ 467, 473 StPO).

Praktische Konsequenzen und Empfehlungen für Betroffene

Die Anzahl der Fälle, in denen umfangreiche Datenträger sichergestellt und über lange Zeiträume ausgewertet werden, nimmt stetig zu. Datenmengen wachsen, Auswertesoftware wird komplexer, spezialisierte IT-Dienststellen sind häufig überlastet. Zugleich enthält die StPO keine festen Fristen für die Dauer der Auswertung. Die Grenze verläuft allein bei der Verhältnismäßigkeit – die im Einzelfall anhand der konkreten Umstände zu bestimmen ist.

Für Betroffene bedeutet dies: Sie sollten die Dauer von Beschlagnahmen und die Entwicklung des Verfahrens aktiv im Blick behalten. Sachstandsanfragen, dokumentierte Verzögerungen und der Vergleich zwischen Datenmenge und tatsächlichem Ermittlungsfortschritt spielen eine wesentliche Rolle. Je länger ein Verfahren ohne substanzielle Ermittlungsergebnisse andauert, desto eher wird eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme in Betracht kommen.

Die Kanzlei Buchert Jacob Peter vertritt seit vielen Jahren Mandanten in Deutschland in Verfahren, in denen digitale Beweismittel im Mittelpunkt stehen – von klassischen Cybercrime-Fällen über Vorwürfe im Bereich des Medien- oder Sexualstrafrechts bis hin zu Konstellationen mit wirtschaftsstrafrechtlicher Relevanz. Wir begleiten Betroffene von der ersten Vorladung oder polizeilichen Maßnahme an und vertreten sie in allen Instanzen des Ermittlungsverfahrens und der Hauptverhandlung.

FAQ: Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme von Datenträgern

Wie lange dürfen meine Datenträger beschlagnahmt bleiben?
Eine starre Frist gibt es nicht. Nach der Entscheidung des LG Gera ist aber klar, dass eine Dauer von deutlich über einem Jahr kritisch wird, wenn keine besonderen Gründe vorliegen. Eine Beschlagnahme von nahezu drei Jahren wurde als unverhältnismäßig und damit rechtswidrig eingestuft.

Spielt die Überlastung der Ermittlungsbehörden eine Rolle?
Überlastung kann erklären, warum Verfahren länger dauern, sie rechtfertigt einen Grundrechtseingriff aber nicht. Personelle oder sachliche Engpässe dürfen sich nicht zulasten des Beschuldigten auswirken. Gerichte müssen in solchen Situationen den Grundrechtsschutz sicherstellen.

Was kann ich tun, wenn meine Geräte seit langer Zeit beschlagnahmt sind?
Sie sollten sich an erfahrene Strafverteidiger wenden. Diese prüfen die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen, stellen Sachstandsanfragen, legen Beschwerden ein und können eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit beantragen. So wird der verfassungsrechtliche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz konkret durchgesetzt.

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