BGH, Beschluss vom 9. Juli 2025 – 1 StR 475/23: Einziehung im Korruptionsstrafrecht bei „indirektem Vermögenszufluss“ und keine Gesamtschuld von Bestechendem und Bestochenem

Einziehung im Korruptionsstrafrecht

Korruptionsverfahren sind in der Praxis häufig nicht nur eine Frage des Schuldvorwurfs, sondern vor allem eine Frage der Vermögensfolgen. Gerade im Korruptionsstrafrecht steht neben der Strafe regelmäßig die Einziehung (Vermögensabschöpfung) im Zentrum: Was gilt als „durch die Tat erlangt“? Was ist einzuziehen, wenn ein Auftrag über eine Gesellschaft abgewickelt wird und Vermögenswerte zunächst bei der Gesellschaft anfallen? Und wer haftet am Ende – gegebenenfalls gesamtschuldnerisch?

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 9. Juli 2025 (Az. 1 StR 475/23) hierzu wesentliche Leitlinien konkretisiert. Im Kern geht es um drei praxisrelevante Punkte: Erstens, dass beim Bestechenden im Grundsatz nur der aus dem korruptiv erlangten Auftrag gezogene Gewinn der Wertersatzeinziehung unterliegt. Zweitens, dass ein handelndes Organ auch dann „durch“ die Tat etwas erlangen kann, wenn die drittbegünstigte Gesellschaft Vermögenswerte später rechtsgrundlos an ihn weiterleitet („indirekter Vermögenszufluss“). Drittens, dass eine Gesamtschuld zwischen Bestechendem und Bestochenem ausscheidet, weil beide jeweils durch eine „andere Tat“ erlangen.

Schnelle Orientierung bei Korruptionsvorwürfen mit Einziehungsrisiko

Wenn Ermittlungen wegen Bestechung/Bestechlichkeit oder vermuteter pflichtwidriger Auftragsvergabe im Raum stehen, sollte frühzeitig die Einziehungsdimension mitgedacht werden: Welche Vermögenswerte werden als „erlangt“ eingeordnet, welche Zahlungsströme werden behauptet und auf welcher Grundlage wird gerechnet?

Passende Einstiegseiten (interne Links): Strafverteidigung, Steuerstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Ermittlungsverfahren, Akteneinsicht, Steuerfahndung.

Problem: Einziehung bei Auftragsvergabe über Gesellschaften – was ist „erlangt“?

In Korruptionssachverhalten wird der wirtschaftliche Vorteil häufig nicht „direkt“ als Geldzahlung an eine natürliche Person realisiert, sondern über Aufträge, Rechnungen, Gewinne und Ausschüttungen in einer Gesellschaftsstruktur. Aus Ermittlersicht stellt sich dann die Frage: Liegt das Erlangte beim Unternehmen oder beim handelnden Täter? Auf der anderen Seite ist für Beschuldigte und Betroffene zentral, ob Zahlungen als rechtmäßig begründete Vergütung (z. B. Gehalt, Miete, Darlehensrückzahlung) oder als aus der Tatbeute stammender Zufluss bewertet werden.

Der Beschluss macht deutlich, dass die Einziehung nicht allein an formalen Buchungswegen scheitert. Entscheidend ist die tatsächliche Identifizierbarkeit der Vorteile als aus der Tat stammend – und zwar anhand belastbarer Feststellungen. Gerade deshalb ist die frühe Analyse der Aktenlage bedeutsam, weil die Ermittlungsakte typischerweise Kontounterlagen, Beschlussauswertungen, Zahlungsübersichten und teils auch Schätzmodelle enthält.

„Bunter Kasten“: Typische Beweis- und Rechenfragen bei Einziehung im Korruptionsverfahren

  • Welche Position ist „Tatertrag“: Auftragsvolumen, Umsatz oder nur Gewinn nach Abzug von Aufwendungen?
  • Wie wird der Gewinn ermittelt: Einzelkalkulation je Auftrag, Zeitreihenmodell oder Schätzung nach Plausibilitäten?
  • Welche Zahlungsströme an das handelnde Organ sind konkret belegt (Ausschüttungen, „Privatentnahmen“, Überweisungen)?
  • Gibt es einen tragfähigen Rechtsgrund für Zuflüsse (Verträge, marktübliche Konditionen, tatsächliche Leistungserbringung)?
  • Kommt eine Gesamtschuld in Betracht – und wenn ja, mit wem (Gesellschaft, Mitbeteiligte, Dritte)?

Kernergebnis 1: Beim Bestechenden ist grundsätzlich der Gewinn einzuziehen

Der BGH stellt klar, dass der Bestechende zunächst „gegenständlich“ einen Auftrag erlangt. Für die Wertersatzeinziehung ist jedoch nicht automatisch das gesamte Auftragsvolumen maßgeblich. Vielmehr sind – in der Systematik der Vermögensabschöpfung – Aufwendungen für eine beanstandungsfreie Leistungserbringung zu berücksichtigen, sodass im Ergebnis allein der Gewinn des Bestechenden einzuziehen ist. Das ist für die Praxis deshalb wichtig, weil Anklage- und Urteilszahlen in Korruptionsverfahren häufig mit hohen Umsätzen arbeiten, während die Einziehungslogik differenzieren muss: Personal- und Sachkosten, Material, Fremdleistungen oder sonstige Aufwendungen können den einzuziehenden Betrag substantiell beeinflussen.

In vielen Verfahren entscheidet sich die Einziehungsfrage daher weniger am juristischen Grundsatz als an der Nachvollziehbarkeit der Gewinnermittlung. Genau hier entstehen Ansatzpunkte, wenn Schätzungen nicht belastbar begründet sind oder wenn die Abgrenzung zwischen legalen Einnahmequellen und bemakelten Vorteilen unscharf bleibt. Für die Verteidigung ist es regelmäßig sinnvoll, die Rechenbasis konsequent zu überprüfen, bevor man sich zu einzelnen Zahlen positioniert.

Kernergebnis 2: „Indirekter Vermögenszufluss“ kann als Erlangtes beim Täter zählen

Ein zentrales Praxisproblem: Der Täter handelt für eine Gesellschaft; die Gesellschaft erhält die Aufträge und erzielt Gewinne. Trotzdem kann der Täter selbst „durch“ die Tat etwas erlangen, wenn die drittbegünstigte Gesellschaft die inkriminierten Vermögenswerte später – ganz oder teilweise – rechtsgrundlos an ihn überträgt. Der BGH ordnet dies als eine Art Verteilung der Tatbeute ein, die den Kausal- und Zurechnungszusammenhang nicht automatisch unterbricht.

Gleichzeitig zieht die Entscheidung eine wichtige Grenze: Liegt der Übertragung ein belastbarer Rechtsgrund zugrunde, etwa ein nicht bemakelter Vertrag mit marktüblichen Konditionen und tatsächlicher Leistung, kann der „Durchgriff“ auf das Organ nicht ohne Weiteres erfolgen. Praktisch führt das dazu, dass in Verfahren mit komplexen Zahlungsströmen die Vertrags- und Leistungswirklichkeit in den Mittelpunkt rückt. Gerade in Durchsuchungslagen ist deshalb häufig auch die Sicherung von Unterlagen und IT-Daten ein Thema; hier spielen Maßnahmen wie Durchsuchung und Beschlagnahme eine erhebliche Rolle für die spätere Beweisführung.

Kernergebnis 3: Keine Gesamtschuld von Bestechendem und Bestochenem

Zur Gesamtschuld positioniert sich der BGH klar: Eine gesamtschuldnerische Haftung zwischen Bestechendem und Bestochenem scheidet aus, weil beide nicht „denselben“ Vorteil aus derselben Tat erlangen, sondern jeweils durch eine andere Tat. Der Bestechende erlangt seinen wirtschaftlichen Vorteil aus dem korruptiv erlangten Auftrag (bzw. daraus resultierendem Gewinn), während der Bestochene den Vorteil aus der eigenen Deliktsseite (Bestechlichkeit) erlangt. Das kann in der Summe dazu führen, dass insgesamt mehr abgeschöpft wird, als der „Gewinn“ aus der Bestechungstat isoliert betrachtet ausmacht – das ist nach der Logik tatbezogener Einziehung jedoch systembedingt.

Gleichwohl bleibt die Gesamtschuld in anderen Konstellationen relevant: Insbesondere kann sie zwischen Täter und drittbegünstigter Gesellschaft in Betracht kommen, wenn beide in der Einziehungskonstellation rechtlich verbunden sind. Genau an dieser Schnittstelle liegt in der Praxis oft das größte wirtschaftliche Risiko, weil Einziehungsentscheidungen nicht selten zu erheblichen Forderungsvolumina führen, die unabhängig von zivilrechtlichen Ausgleichsfragen betrieben werden können.

Praktische Konsequenzen: Was Betroffene aus der Entscheidung mitnehmen sollten

Die Entscheidung liefert klare Leitplanken, die in Ermittlungs- und Gerichtsverfahren aktiv genutzt werden können. Für die Praxis lassen sich insbesondere folgende Punkte ableiten: Erstens, die Einziehung ist keine „Nebenfolge“, sondern ein eigener Streitgegenstand, der frühzeitig strukturiert werden sollte. Zweitens, im Gesellschaftskontext entscheidet die Trennlinie „legaler Rechtsgrund“ versus „Beuteverteilung“ oft über die Zurechnung. Drittens, bei der Gesamtschuld ist genau zu prüfen, mit wem sie überhaupt rechtlich in Betracht kommt.

  • Gewinnermittlung kritisch prüfen: Welche Aufwendungen wurden abgezogen, welche nicht, und warum?
  • Zahlungsströme belegen oder entkräften: Welche Zuflüsse sind tatsächlich aus der bemakelten Quelle identifizierbar?
  • Rechtsgründe sauber dokumentieren: Verträge, Leistung, Marktüblichkeit, Abgrenzung zu Ausschüttung/Entnahme.
  • Gesamtschuld richtig einordnen: Nicht reflexartig „alle mit allen“, sondern tat- und personenbezogen prüfen.
  • Verfahrensstrategie an Aktenlage ausrichten: Ohne Akteneinsicht sind belastbare Zahlenbewertungen selten möglich.

Verteidigungsansätze bei Einziehung im Korruptionsstrafrecht

Die Verteidigung in solchen Konstellationen ist regelmäßig zweigleisig: Einerseits ist der Tatvorwurf (z. B. Korruption im strafrechtlichen Sinne) materiell zu prüfen, andererseits ist die Einziehungsrechnung eigenständig anzugreifen. Häufige Ansatzpunkte sind: die tragfähige Abgrenzung von legalen Einnahmequellen, die Identifizierbarkeit des Vorteils „als Tatbeute“, die Plausibilität von Schätzungen sowie die Frage, ob eine Zahlung tatsächlich rechtsgrundlos war oder durch einen unbemakelten Vertrag gedeckt ist.

Gerade bei langfristigen „revolvierenden“ Systemen wird zudem häufig mit Quoten, Verteilungsschlüsseln oder Hochrechnungen gearbeitet. In solchen Fällen kann die Verteidigung nicht nur juristisch, sondern auch faktisch-technisch ansetzen: Buchhaltungslogik, Zahlungszuordnung, periodengerechte Gewinnabgrenzung und die Frage, ob Zahlungsströme tatsächlich auf die inkriminierte Quelle zurückgeführt werden können. Diese Punkte sind in der Praxis oft entscheidender als abstrakte Rechtsfragen.FAQ: Einziehung, indirekter Vermögenszufluss und Gesamtschuld im Korruptionsverfahren

Was bedeutet „Erlangtes“ bei der Einziehung im Korruptionsstrafrecht?

„Erlangt“ ist, was der Täter durch die Tat wirtschaftlich in seine Verfügungsgewalt bekommt. Im Korruptionskontext kann das ein Gewinn aus einem pflichtwidrig erlangten Auftrag sein oder ein Geldzufluss, der als aus der Tatbeute stammend identifizierbar ist. Zur Systematik siehe auch Einziehung.

Warum wird beim Bestechenden nicht automatisch der gesamte Umsatz eingezogen?

Weil bei der Wertersatzeinziehung grundsätzlich zu berücksichtigen ist, dass zur Erfüllung eines Auftrags Aufwendungen anfallen. Abgeschöpft werden soll nicht der Umsatz, sondern im Regelfall der Gewinn, der aus dem korruptiv erlangten Auftrag resultiert.

Was ist ein „indirekter Vermögenszufluss“ über eine Gesellschaft?

Damit ist gemeint, dass Vermögenswerte zunächst bei einer Gesellschaft anfallen, später aber an das handelnde Organ weitergeleitet werden. Wenn diese Weiterleitung als Verteilung der Tatbeute zu werten ist und kein belastbarer Rechtsgrund besteht, kann der Täter auch dann „durch“ die Tat etwas erlangt haben, obwohl die Gesellschaft zunächst begünstigt war.

Welche Bedeutung haben Verträge (Gehalt, Miete, Darlehen) für die Einziehung?

Ein rechtmäßiger, nicht bemakelter Vertrag kann eine tragfähige Grundlage sein, um Zuflüsse als legal zu erklären. In der Praxis kommt es aber auf die tatsächliche Durchführung, Marktüblichkeit und die Abgrenzung an: Ob ein Rechtsgrund wirklich trägt, ist häufig eine Beweis- und Würdigungsfrage.

Wann kommt eine Gesamtschuld bei der Einziehung in Betracht?

Eine Gesamtschuld setzt typischerweise voraus, dass mehrere Beteiligte denselben einzuziehenden Betrag aus derselben Tat erlangt haben. Der BGH stellt klar, dass dies zwischen Bestechendem und Bestochenem gerade nicht der Fall ist, weil beide durch unterschiedliche Delikte Vorteile erlangen. Mit einer drittbegünstigten Gesellschaft kann eine gesamtschuldnerische Einziehung dagegen je nach Konstellation möglich sein.

Was sollte ich tun, wenn eine Einziehungsanordnung droht oder bereits ergangen ist?

In der Regel ist es sinnvoll, die Berechnungsgrundlage und die Zurechnung strikt zu prüfen, bevor inhaltlich Stellung genommen wird. Häufig entscheidet die Aktenlage über die Angriffspunkte, insbesondere Zahlungsnachweise und Rechenmodelle. Bei Einziehungsfragen lohnt sich frühzeitig der Blick in den Verfahrensstand des Ermittlungsverfahrens.

Hinweis zur ersten Reaktion bei Korruptionsvorwürfen mit Einziehung

Einziehungsbeträge werden in Korruptionsverfahren häufig mit Schätzungen, Quoten oder komplexen Zahlungszuordnungen begründet. Regelmäßig ist es zweckmäßig, zunächst Aktenkenntnis herzustellen und die Rechenlogik sowie die behaupteten Rechtsgründe strukturiert zu prüfen, bevor Erklärungen abgegeben werden.

Vertiefung (interne Links): Beschuldigter, Vorladung, Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens, Akteneinsicht.

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