BGH, Beschluss vom 11.02.2025 – KZR 74/23: Kartellbußgeld und Organhaftung

BGH, Beschluss vom 11.02.2025 – KZR 74/23: Kartellbußgeld und Organhaftung – Strafverteidigung in Frankfurt und bundesweit

Mit seinem Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 11.02.2025 (KZR 74/23) legt der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs dem Gerichtshof der Europäischen Union eine zentrale Frage zur Haftung von Geschäftsführern und Vorständen für Kartellbußgelder vor. Im Raum steht, ob ein Unternehmen, gegen das eine nationale Wettbewerbsbehörde wegen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV ein Bußgeld verhängt hat, den entsprechenden Vermögensschaden im Wege der Organhaftung von seinem Leitungsorgan ersetzt verlangen darf – oder ob dies den Zielen des europäischen Kartellsanktionsrechts widerspricht.

Die Entscheidung hat erhebliche praktische Bedeutung für Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte, die sich einem Kartellverfahren und daran anknüpfenden zivilrechtlichen Regressforderungen gegenübersehen. Zugleich berührt sie die dogmatische Schnittstelle zwischen Kartellordnungswidrigkeitenrecht (Art. 101 AEUV, § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB) und der gesellschaftsrechtlichen Organhaftung nach § 43 GmbHG und § 93 AktG.

Ausgangspunkt: Kartellbußgeld, Edelstahlkartell und Organhaftung

Dem Verfahren liegt ein langjähriges Preiskartell in der Edelstahlbranche zugrunde. Die Klägerinnen – eine operative Gesellschaft und ihre Holding – waren konzernverbunden tätig. Der Beklagte war über viele Jahre hinweg sowohl Geschäftsführer der operativen Gesellschaft als auch Vorstand und Vorstandsvorsitzender der Holding. Über einen längeren Zeitraum nahm er an kartellrechtswidrigen Preisabsprachen teil und wirkte an einem branchenweit abgestimmten Preissystem mit.

Das Bundeskartellamt leitete Ermittlungen ein und verhängte im Rahmen eines Settlement-Verfahrens ein Bußgeld von mehreren Millionen Euro gegen die operative Gesellschaft sowie ein weiteres Bußgeld gegen den ehemaligen Geschäftsführer persönlich. Gegen die Holding wurde das Verfahren eingestellt. Parallel bestand eine D&O-Versicherung (Directors and Officers Liability), deren Deckung allerdings für wissentliche Pflichtverletzungen und gegen die Organe persönlich verhängte Bußgelder ausgeschlossen war.

Die Gesellschaften verlangen nun vom ehemaligen Organmitglied Schadensersatz – unter anderem in Höhe des gegen die Gesellschaft verhängten Kartellbußgeldes und der angefallenen Rechtsverteidigungs- und Aufklärungskosten. Landgericht und Oberlandesgericht Düsseldorf wiesen die Klage ab. Der BGH sieht dagegen mehrere ungeklärte unionsrechtliche Fragen und ruft den EuGH an.

Kartellbußgeld als Verbandssanktion – rechtlicher Rahmen

Kartellrechtliche Bußgelder gegen Unternehmen werden in Deutschland vor allem über § 30 OWiG in Verbindung mit § 81 GWB verhängt. Nach diesem System kann ein Unternehmen mit einer erheblichen Geldbuße belegt werden, wenn ein vertretungsberechtigtes Organ – etwa Geschäftsführer oder Vorstand – eine Kartellordnungswidrigkeit begangen hat. Die Bußgeldhöhe orientiert sich am Umsatz der wirtschaftlichen Einheit und kann bis zu 10 % des Gesamtumsatzes betragen.

Die Bußgelder verfolgen einen repressiven und präventiven Zweck: Das Vermögen des Unternehmens soll spürbar belastet werden, damit sich Kartellverstöße wirtschaftlich nicht lohnen und andere Marktteilnehmer abgeschreckt werden. Zugleich haben die Bußgelder eine – teilweise pauschalierte – Vorteilsabschöpfungsfunktion. Die Verbandssanktion ergänzt die persönliche Ahndung von Organen nach § 9 OWiG, tritt aber eigenständig neben diese und ist nicht bloß ein Reflex der persönlichen Sanktion.

Die Frage, ob und in welchem Umfang das Unternehmen den Bußgeldbetrag anschließend im Innenverhältnis auf das Organ „abwälzen“ darf, wird seit Jahren kontrovers diskutiert. Sie berührt unmittelbar das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftsstrafrecht, Unternehmenssanktionierung und Gesellschaftsrecht.

Organhaftung nach § 43 GmbHG und § 93 AktG – Pflichtverletzung durch Kartellverstoß

Die zivilrechtliche Organhaftung ist in § 43 GmbHG für Geschäftsführer und in § 93 AktG für Vorstandsmitglieder geregelt. Beide Normen verlangen die Sorgfalt eines „ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“. Verstöße gegen gesetzliche Verbote – insbesondere gegen Kartellrecht – gelten seit langem als Pflichtverletzungen, auch wenn das Verhalten der Gesellschaft kurzfristig Vorteile bringen kann.

Verletzt ein Organmitglied diese Pflichten schuldhaft, ist es der Gesellschaft grundsätzlich zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet. Als Schaden kann nicht nur ein unmittelbarer Vermögensabfluss, sondern auch die Belastung mit einem Bußgeld in Betracht kommen. Kartellordnungswidrigkeiten führen daher regelmäßig zu parallelen Risiken: persönliche Geldbußen, mögliche strafrechtliche Ermittlungen, zivilrechtliche Regressansprüche und Konsequenzen für die Organstellung.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die zentrale Frage, ob die Gesellschaft das gegen sie verhängte Kartellbußgeld als Schaden im Sinne der Organhaftung geltend machen darf – oder ob die Zielrichtung der Verbandssanktion dem entgegensteht.

Wer als Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied mit dem Vorwurf eines Kartellverstoßes, eines hohen Kartellbußgelds oder persönlicher Geschäftsführerhaftung konfrontiert ist, sollte frühzeitig unsere Strafverteidiger und Fachanwälte für Strafrecht in Frankfurt mit besonderer Erfahrung im Wirtschaftsstrafrecht und in Verfahren der Unternehmenssanktionierung nach § 30 OWiG hinzuziehen.

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Die Kernfrage des BGH: Regress auf das Organ – europarechtlich zulässig?

Der BGH stellt heraus, dass der Wortlaut der Organhaftungsvorschriften keine Einschränkung hinsichtlich kartellrechtlicher Verbandsbußen enthält. Teil der Literatur und Rechtsprechung will § 43 GmbHG und § 93 AktG jedoch teleologisch reduzieren: Der mit der Buße verfolgte Zweck, das Vermögen des Unternehmens zu belasten und es zur Einhaltung des Kartellrechts anzuhalten, könne unterlaufen werden, wenn die Gesellschaft den wirtschaftlichen Nachteil vollständig auf das Organ oder dessen D&O-Versicherung abwälzt.

Eine andere Auffassung betont demgegenüber, dass die Zwecke des Sanktionsrechts bereits durch die Verhängung des Bußgeldes erfüllt seien und die Innenhaftung allein zivilrechtlichen Steuerungszwecken diene – nämlich der Förderung einer rechtstreuen Geschäftsführung. Gerade bei Kartellverstößen könne der Regress einen wichtigen Anreiz schaffen, kartellrechtswidriges Verhalten zu vermeiden.

Der Kartellsenat erkennt, dass eine umfassende Entlastung der Gesellschaft mit dem Ziel der abschreckenden Verbandssanktion kollidieren kann. Zugleich verweist er darauf, dass in vielen Fällen – aufgrund begrenzter Versicherungssummen, Ausschlüssen bei vorsätzlicher Pflichtverletzung und der begrenzten Leistungsfähigkeit natürlicher Personen – nur eine Teilentlastung möglich sein wird. Die Frage, ob Art. 101 AEUV der Anwendung der nationalen Organhaftungsregeln entgegensteht, hält der BGH daher für unionsrechtlich klärungsbedürftig.

Vorlage an den EuGH: Art. 101 AEUV und Wirksamkeit von Kartellbußgeldern

Der BGH setzt das Verfahren aus und legt dem EuGH nach Art. 267 AEUV die Frage vor, ob Art. 101 AEUV einer nationalen Regelung entgegensteht, die der juristischen Person einen zivilrechtlichen Regressanspruch gegen ihr Leitungsorgan auf Ersatz des Kartellbußgeldes einräumt. Hintergrund sind die unionsrechtlichen Anforderungen an wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen für Wettbewerbsverstöße.

Der EuGH hat bereits entschieden, dass die Wirksamkeit einer Geldbuße beeinträchtigt sein kann, wenn Unternehmen diese steuerlich kompensieren können. Übertragen auf den Regress gegen das Organ stellt sich die Frage, ob eine – gegebenenfalls weitgehende – Entlastung der Gesellschaft durch Innenregress die beabsichtigte Abschreckungswirkung im Markt schwächt oder ob die zusätzliche Belastung der Organmitglieder den Schutzzweck des Kartellrechts eher stärkt.

Von der Antwort des EuGH hängt ab, ob deutsche Gerichte Regressansprüche auf Kartellbußgelder zulassen müssen oder ob aus unionsrechtlichen Gründen eine Einschränkung der Organhaftung geboten ist. Klar ist bereits jetzt: Ansprüche auf Ersatz von Aufklärungs- und Verteidigungskosten (IT-Kosten, Rechtsanwaltskosten) werden vom BGH eher als unproblematisch angesehen, weil sie die Wirksamkeit der Buße selbst nicht berühren.

Praktische Konsequenzen für Vorstände, Geschäftsführer und Unternehmen

Unabhängig von der noch ausstehenden Entscheidung des EuGH zeigt der Beschluss KZR 74/23, dass Haftungsrisiken in Kartellverfahren mehrschichtig sind. Neben dem kartellrechtlichen Bußgeld drohen zivilrechtliche Schadensersatzansprüche der Gesellschaft, eine persönliche Inanspruchnahme durch andere Geschädigte sowie strafrechtliche oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Verfahren vor Wirtschaftsstrafkammern und Kartellsenat.

Für Betroffene ist deshalb wichtig, frühzeitig die Verbindung von Bußgeldverfahren, Zivilklagen und Versicherungsfragen zu analysieren. Gerade in Fällen möglicher Geschäftsführerhaftung sollte die Verteidigungsstrategie im kartellrechtlichen Bußgeldverfahren mit einer möglichen Abwehr oder Gestaltung von Regressansprüchen verzahnt werden. Dazu gehört auch eine fundierte Prüfung von D&O-Deckung, Selbstbehalten und Ausschlüssen.

Die Anwaltskanzlei Buchert Jacob Peter in Frankfurt verfügt über langjährige Erfahrung in der Strafverteidigung und in komplexen Verfahren des Wirtschaftsstrafrechts und des Unternehmensstrafrechts. Wir vertreten bundesweit Vorstände, Geschäftsführer und Unternehmen in kartellrechtlichen Bußgeldverfahren, strafrechtlichen Ermittlungen und anschließenden Rechtsmittelverfahren, etwa Rechtsmittelverfahren und Revision.

Betroffene können sich frühzeitig anwaltlich beraten lassen, um Risiken zu begrenzen, Aussage- und Verteidigungsrechte zu wahren und die Weichen für eine langfristig tragfähige Lösung zu stellen – sei es im Umgang mit dem Kartellbußgeld, mit möglichen Regressforderungen oder mit parallelen Schadensersatzklagen von Geschäftspartnern.

FAQ: Geschäftsführerhaftung für Kartellbußgelder nach KZR 74/23

Muss ich als Geschäftsführer oder Vorstand das Kartellbußgeld der Gesellschaft persönlich erstatten?

Der BGH geht davon aus, dass ein Regress nach § 43 GmbHG und § 93 AktG grundsätzlich denkbar ist. Ob dies mit Art. 101 AEUV vereinbar ist oder ob unionsrechtlich eine Einschränkung der Organhaftung erforderlich ist, soll der EuGH klären. Bis zur Entscheidung bleibt die Rechtslage offen; jeder Fall ist unter Berücksichtigung der konkreten Pflichtverletzungen und der gesellschaftsrechtlichen Situation gesondert zu prüfen.

Sind D&O-Versicherungen ein ausreichender Schutz vor persönlicher Haftung?

D&O-Versicherungen können das Risiko persönlicher Inanspruchnahme mindern, decken aber regelmäßig keine vorsätzlichen Pflichtverletzungen und keine gegen das Organ persönlich verhängten Geldbußen oder Geldstrafen. Ob ein Regressanspruch der Gesellschaft vom Versicherungsschutz erfasst ist, hängt von den Vertragsbedingungen ab. Eine frühzeitige straf- und zivilrechtliche Beratung ist deshalb sinnvoll.

Welche Rolle spielt der BGH-Beschluss für laufende Ermittlungs- und Bußgeldverfahren?

KZR 74/23 zeigt, dass die Frage der Organhaftung für Kartellbußgelder derzeit in Bewegung ist und unionsrechtlich geklärt werden muss. Für laufende Ermittlungsverfahren und Verfahren vor dem Strafgericht ist es wichtig, das mögliche Regressrisiko frühzeitig in die Verteidigungsstrategie einzubeziehen – sowohl aus Sicht des Unternehmens als auch aus Sicht des betroffenen Organmitglieds.

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