Verjährung im Steuerstrafrecht (Verfolungsverjährung und Festsetzungsverjährung)

🔍 Verfolgungsverjährung und Festsetzungsverjährung im Steuerstrafrecht

✅ Einleitung: Warum Verjährungsfristen im Steuerrecht jetzt besonders relevant sind

Seit den Änderungen durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz und das Jahressteuergesetz 2020 hat sich das Steuerstrafrecht in Deutschland spürbar verändert. Besonders betroffen: Steuerhinterziehungen in besonders schweren Fällen nach § 370 Abs. 3 Satz 2 AO.

📜 Neue gesetzliche Grundlagen: Verjährungsfristen im Überblick

Sachverhalt Frist vor 2020 Frist ab 2020 Maximal (inkl. Unterbrechung & Ruhen)
Einfache Steuerhinterziehung 5 Jahre unverändert 10 Jahre
Besonders schwere Steuerhinterziehung 10 Jahre 15 Jahre bis zu 42,5 Jahre
Absolute Verjährung 20 Jahre 37,5 Jahre
Neu eingeführt wurde zudem die Anwendbarkeit des Ruhens der Verjährung nach § 78b Abs. 4 StGB auf das Steuerstrafrecht – mit massiven Folgen für die Ermittlungsdauer.

 Warum wurden die Fristen verlängert?

Die gesetzgeberische Motivation war politisch und praktisch begründet:

  • Verjährung drohte in Fällen wie Cum-Ex.

  • Immer komplexere, grenzüberschreitende Sachverhalte.

  • Digitalisierung und große Datenmengen machen Ermittlungen langwieriger.

  • Ziel: Rechtsfrieden durch umfassende Sachverhaltsaufklärung.

⚖️ Strafrechtliche Verjährung bei Steuerhinterziehung

📆 Beginn der Verjährung

Die Verjährung beginnt mit Tatbeendigung. Bei der Umsatzsteuer geschieht dies regelmäßig mit der Abgabe der unrichtigen Steueranmeldung (§ 168 AO).

🧩 Unterbrechung & Ruhen

  • Unterbrechung (§ 78c StGB): Frist beginnt neu zu laufen.

  • Ruhen (§ 78b StGB): Frist pausiert, läuft danach weiter.

  • Kombination möglich → bis zu 42,5 Jahre Verjährungsdauer.

Unterbrechung und Ruhen der Verfolgungsverjährung

Die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung bedeutet, dass die bisher abgelaufene Verjährungsfrist gelöscht wird und nach der Unterbrechung von Neuem zu laufen beginnt (§ 78c Abs. 3 S. 1 StGB). Mehrfache Unterbrechungen sind möglich. Allerdings ist die absolute Verjährungsfrist auf das Doppelte der gesetzlichen Frist begrenzt, in besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1–6 AO) sogar auf das Zweieinhalbfache (z.B. bis zu 37,5 Jahre).

Welche Handlungen unterbrechen die Verjährung?

Zu den wichtigsten Unterbrechungshandlungen zählen:

  • Erste Vernehmung des Beschuldigten oder Bekanntgabe der Einleitung des Ermittlungsverfahrens

  • Richterliche Vernehmung, auch wenn es nicht die Erste ist

  • Anordnung oder Durchführung richterlicher Beschlagnahme oder Durchsuchung

  • Beauftragung eines Sachverständigen (nur, wenn vorherige Vernehmung/Bekanntgabe erfolgt ist)

  • Klageerhebung, Eröffnung oder Anberaumung der Hauptverhandlung

Dabei muss der Tatvorwurf ausreichend konkretisiert sein. Die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ohne genaue Angaben reicht nicht aus. Mehrere Maßnahmen aus derselben Kategorie (z.B. Vernehmung und Bekanntgabe) zählen nur als eine Unterbrechung.

Sachlicher und persönlicher Umfang der Unterbrechung

Die Unterbrechungswirkung erstreckt sich auf die Tat im prozessualen Sinne – also das gesamte einheitliche Verhalten des Täters, nicht nur auf Einzelaspekte. Wird z. B. wegen Steuerhinterziehung ermittelt und auch Urkundenfälschung vermutet (wenn beide Taten einen Lebensvorgang darstellen), gilt die Unterbrechung für beide Delikte. Sie wirkt nur gegen den konkret ermittelten oder individualisierten Beschuldigten, nicht pauschal gegen alle denkbaren Täter.

Ruhen der Verfolgungsverjährung: Wann pausiert die Frist?

Ruhen der Verfolgungsverjährung tritt ein,

  • wenn das Strafverfahren bis zum Abschluss des Besteuerungsverfahrens ausgesetzt wird (§ 396 AO)

  • in besonders schweren Fällen ab Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Landgericht für bis zu fünf Jahre (§ 78b Abs. 4 StGB, nun auch ausdrücklich für § 370 Abs. 3 AO)

  • während der Erfüllung von Auflagen bei vorläufiger Einstellung nach § 153a StPO

Während des Ruhens läuft die Frist nicht weiter, aber der vorherige Stand bleibt erhalten. Das Ruhen wirkt auch auf die absolute Verjährungsfrist.

Absolute Verfolgungsverjährung: Maximale Fristen

Die absolute Verfolgungsverjährung begrenzt die Gesamtdauer, auch wenn die Verjährung mehrfach unterbrochen wurde:

  • Normalfall: Maximal das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist (meist 10 Jahre)

  • Besonders schwere Steuerhinterziehung: Maximal das Zweieinhalbfache der gesetzlichen Frist (bis zu 37,5 Jahre)

Mit der Gesetzesänderung 2020 wurde diese Grenze verlängert, um der Aufarbeitung komplexer Fälle (z.B. Cum-Ex-Skandal) gerecht zu werden.

🧾 Festsetzungsverjährung: Steuerrecht

Die strafrechtliche Verjährung verlängert automatisch auch die steuerliche Festsetzungsfrist (§ 171 Abs. 7 AO).

Sachverhalt Frist nach § 169 AO Verlängerung durch § 171 AO
Normale Steuerfestsetzung 4 Jahre keine
Bei Steuerhinterziehung 10 Jahre bis zu 42,5 Jahre

➡️ Folge: Steueransprüche verjähren nicht, solange auch die Strafverfolgung möglich ist.

📂 Aufbewahrungspflichten

📁 Gesetzliche Regelung (§ 147 AO)

  • Grundsätzlich 6 bzw. 10 Jahre Aufbewahrungspflicht.

  • Verlängert sich automatisch bis zum Ablauf der Festsetzungsverjährung.

❗ Praktische Konsequenzen

  • Unterlagen können bis zu 42,5 Jahre relevant bleiben.

  • Selektives Löschen kaum realisierbar.

  • Risiko: Schätzungsbefugnis des Finanzamts bei fehlenden Unterlagen (§ 162 AO).

✉️ Selbstanzeige nach § 371 AO: Neue Hürden durch alte Taten

🔐 Vollständigkeitsgebot

  • Selbstanzeige muss alle unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart enthalten.

  • Durch verlängerte Verjährung kann der Rückgriff bis 42,5 Jahre zurückgehen.

⚠️ Risiko bei Teilangaben

  • Abweichung von >5 % → Selbstanzeige unwirksam.

  • Ausnahme: Umsatzsteuer-Voranmeldungen (§ 371 Abs. 2a AO) – hier ist eine Teilselbstanzeige möglich.

 

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