Strafzumessung und Revision

Ungeachtet der letztlichen Erfolgsquoten entsprechender Revisionen verbergen sich im Hinblick auf Strafzumessungserwägungen zahlreiche Fehlerquellen und Fallstricke für die Tatgerichte, die aus der Perspektive der Strafverteidigung und des Angeklagten spiegelbildlich Anknüpfungspunkte für die Strafzumessungsverteidigung darstellen.

Besonderes Augenmerk soll im Folgenden den sogenannten bestimmenden Strafzumessungsgründen gelten, die gem. § 267 Abs. 3 S. 1 StPO in den Urteilsgründen anzuführen sind. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls hat das Tatgericht dabei zu entscheiden, welchen Umstand es als bestimmenden Strafzumessungsgrund ansieht. Fällt eine solche Erwägung eines als bestimmender Strafzumessungspunkt in Betracht kommenden Gesichtspunktes bei der Entscheidung des Tatgerichtes aus, ist die Strafzumessung in sachlich rechtlicher Hinsicht fehlerhaft (BGH, Urt. v. 17.2.2021 – 2 StR 294/20).

Es kommen hierbei – je nach Fallkonstellation – Aufklärungshilfe, polizeiliche Überwachung, die Dauer des Verfahrens, ein besonders hohes oder junges Alter des Angeklagten sowie die Einziehung hochwertiger Tatmittel als bestimmende Strafzumessungsgründe in Betracht. Auch eine vorangegangene Untersuchungshaft kann bei besonderen Erschwernissen zugunsten des Angeklagten eingestellt werden, z.B. dann, wenn nach Anrechnung von Untersuchungshaft nur noch ein kurzer Strafrest zu vollstrecken ist (Vgl. BGH, Beschl. v. 22.3.2022 – 1 StR 62/22).

Während drohende berufsrechtliche Folgen einer Verurteilung von den Tatgerichten anerkanntermaßen als bestimmende Strafzumessungsgründe zu würdigen sind, ist die Zugehörigkeit eines drohenden Bewährungswiderrufes zu den bestimmenden Strafzumessungsgründen nicht hinlänglich ausbuchstabiert.

In Bezug auf einen bereits angeordneten Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung verlangt der BGH, das Tatgericht müsse „mit Rücksicht auf die Wirkungen der Strafe, die für das künftige Leben des Angekl. zu erwarten sind (§ 46 I 2 StGB) […] auch das den Angekl. treffende Gesamtstrafübel in den Blick nehmen und erörtern“ (BGH, Urt. v. 22.3.2022 – 1 StR 425/21). Wird die Gesamtverbüßungsdauer durch den Bewährungswiderruf erheblich verlängert, muss das Tatgericht diesen Umstand in seine Strafzumessungserwägungen einstellen.

Ist der Bewährungswiderruf indessen nur zu besorgen und noch nicht angeordnet, tendieren die Senate dazu, einen zugunsten des Angeklagten wirkenden bestimmenden Strafzumessungsgrund grundsätzlich zu verneinen (BGH, Urt. v. 17.2.2021 – 2 StR 294/20; BGH, Beschl. v. 7.9.2022 – 1 StR 49/22; BGH, Beschl. v. 20.4.2022 – 6 StR 131/22). Ausnahmsweise sei die mit dem drohenden Widerruf zur Vollstreckung anstehende Summe der Strafen bestimmend, wenn besondere Voraussetzungen vorliegen, etwa eine provozierte Spontantat (BGH, Urt. v. 17.2.2021 – 2 StR 294/20).

Schließlich ist das straflose Vorleben des Angeklagten zu nennen. Hier geht der Trend dahin, diesen Umstand als bestimmend zu begreifen (Vgl. BGH, Beschl. v. 27.10.2020 – 1 StR 148/20; BGH, Beschl. v. 23.3.2022 – 6 StR 61/22; BGH, Beschl. v. 30.6.2022 – 1 StR 185/22).

Insgesamt sind damit einige Umstände genannt, die in die tatgerichtlichen Zumessungserwägungen einzustellen sind. Geschieht dies nicht, stehen für die Strafverteidigung chancenreiche Angriffspunkte zur Verfügung. Wird ein strafzumessungsrechtlicher Fehler festgestellt, führt dies gleichwohl nicht zwingend zu einer Aufhebung der Rechtsfolgenentscheidung. Dies hängt insbesondere davon ab, an welcher Stelle der Fehler des Tatgerichts zu verorten ist. Je unangemessener sich die Strafe darstellt, desto höher sind die Erfolgsaussichten in der Revisionsinstanz.

 

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