Rohgewinnaufschlag & Richtsatzschätzung im Steuerstrafrecht

Rohgewinnaufschlag & Richtsatzschätzung im Steuerstrafrecht: Chancen für die Verteidigung

In bargeldintensiven Branchen – besonders in der Gastronomie – stützen Tatgerichte die Höhe verkürzter Steuern häufig auf Rohgewinnaufschlagsätze aus der amtlichen Richtsatzsammlung. Das ist zulässig, wenn das „Ob“ der Besteuerung feststeht, das „Wie viel“ aber ungewiss bleibt. Weil dieses Verfahren grober Natur ist und bundesweite Durchschnittswerte nutzt, müssen die Umstände des Einzelfalls (Standort, Betriebsbesonderheiten etc.) sichtbar einfließen. Genau hier liegt Angriffspotential für die Verteidigung – bis hin zu formellen Einwänden gegen die Nachvollziehbarkeit der Richtsatzsammlung.

Was ist der Rohgewinnaufschlag – und warum ist er so wichtig?

Der Rohgewinnaufschlag setzt den Rohgewinn (Umsatz minus Wareneinsatz) ins Verhältnis zum Wareneinsatz (in Prozent). In Prüfungen und Strafverfahren dient er als Kontroll- und Schätzkennziffer. Besonders bei lückenhafter Kassenführung oder gravierenden formellen Mängeln greifen Finanzverwaltung und Gerichte auf Richtsätze der amtlichen Sammlung zurück, um Umsätze und Gewinne zu schätzen (siehe auch unser Rechtslexikon sowie die Seite Steuerstrafrecht).

Wann und wie setzen Tatgerichte den Rohgewinnaufschlag an?

In der Gastronomie (Imbiss, Restaurant, Bar) schätzen Gerichte den Umfang nicht erklärter Erlöse häufig unter Heranziehung der Richtsatzsammlung. Das ist im Strafprozess zulässig, wenn eine konkrete Berechnung nicht möglich ist und andere Schätzungsmethoden ausscheiden. Selbst dann gilt:

  • Der Tatrichter darf sich nicht blind an untere Spannenwerte zugunsten des Angeklagten klammern, wenn Anhaltspunkte für eine positive Ertragslage bestehen.
  • Umgekehrt dürfen „wahrscheinlich“ erscheinende Werte nicht einfach übernommen werden; erforderlich ist die Feststellung eines Mindestschuldumfangs.
  • Mittelwerte oder gewichtete Mittel der Sammlung sind begründungsbedürftig: Warum passt genau dieser Satz zum konkreten Betrieb?

Die Richtsatzsammlung auf dem Prüfstand – formelle und inhaltliche Angriffspunkte

Aktuelle Beiträge aus Wissenschaft und Praxis heben – im Lichte jüngerer BFH-Initiativen – hervor, dass Nachvollziehbarkeit und Belastbarkeit der amtlichen Richtsatzsammlung offen sind. Für die Verteidigung ergeben sich u.a. folgende Ansatzpunkte:

1) Formelle Nachvollziehbarkeit (Begründung & rechtliches Gehör)

Schätzungsbescheide (und gerichtliche Feststellungen) müssen so begründet sein, dass der Betroffene die Tatsachenbasis, die gewählte Methode und deren Anwendung nachvollziehen kann. Wird auf allgemeine Erkenntnisse (z. B. Richtsatzsammlung) gestützt, müssen diese für den Steuerpflichtigen diskutier- und überprüfbar sein (Transparenz der Kriterien). Näheres erläutern wir auf Wirtschaftsstrafrecht.

2) Transparenzanforderungen an die Richtsatzsammlung

Damit Steuerpflichtige und Gerichte die Sammlung prüfen können, sind mindestens offenzulegen:

  • Definition der Gewerbeklassen (klare Abgrenzung; keine Vermischung, z. B. bei Mischbetrieben),
  • Anzahl und Herkunft der Datensätze (regionale Verteilung; Vermeidung struktureller Verzerrungen),
  • Zeiträume der Datenerhebung (Marktentwicklungen),
  • das mathematisch-statistische Modell (Gewichtung, Umgang mit Ausreißern, Bildung von „Mittelwerten“).

3) Inhaltliche Kritikpunkte mit Verteidigungspotential

  • Auswahl- und Stichprobenprobleme: Oft Übergewicht von Außenprüfungsfällen; fehlende Zufallsauswahl.
  • Ausschluss von Verlustbetrieben: verschiebt Richtsätze tendenziell nach oben.
  • Einbezug „geschätzter Betriebe“: Gefahr des Zirkelschlusses (Schätzung wird mit Schätzungen begründet).
  • Regionale/strukturelle Verzerrungen: bundesweite Sätze ohne hinreichenden Regionalbezug – im Einzelfall durch Spannweiten-Nutzung zu korrigieren.
  • Veranlagungszeiträume unklar: Trend- und Marktänderungen werden nicht sauber abgebildet.

Taktik in Gastronomie- und Bargeldfällen: So kontern wir Richtsatzschätzungen

  1. Methodenprüfung erzwingen: Warum wurde nicht nachkalkuliert (innerer Vergleich)? Warum scheiden Geldverkehrsrechnung/Deckungsbeiträge aus?
  2. Einzelfallfaktoren detaillieren: Standort, Öffnungszeiten, Preis-/Menüstruktur (Mittagsmenüs, Sonderpreise), Personal, Schwund, Entnahmen/Gratisabgaben, Saison, Events.
  3. Wareneinsatz sauber rekonstruieren: Hohe Fehleranfälligkeit in Kalkulationen → Kalkulationsschemata, Vorzeichen, Entnahmen/Gratisabgaben und Margenmix (Getränke vs. Speisen) prüfen.
  4. Spannweite statt Mittelwert: Begründung verlangen, warum Mittel-/obere Werte passen sollen; bei Unklarheit den Mindestschuldumfang betonen.
  5. Richtsatzkritik nutzen: Verlustbetriebe, Regionalität, Alt-Daten – als Einwände im Einzelfall verwerten.
  6. Hilfskalkulationen kombinieren: Plausibilisierte Teilkalkulationen (z. B. nach Warengruppen) + Sicherheitsabschläge → belastbarer „Floor“ statt spekulativer Peaks.
  7. Prozessual denken: Begründungsdefizite dokumentieren, Beweisanträge (Datenherkunft/Gewichtung) stellen, AdV und Vorläufigkeitsvermerk beantragen.

FAQ

Was ist der Unterschied zwischen Rohgewinnaufschlag und Rohgewinnsatz?
Rohgewinnaufschlag = Rohgewinn / Wareneinsatz; Rohgewinnsatz = Rohgewinn / Umsatz.

Dürfen Gerichte einfach die Richtsatzsammlung nehmen?
Nur ausnahmsweise: Wenn konkrete Berechnungen nicht möglich sind und andere Methoden ausscheiden. Dann ist ein sichtbarer Einzelfallbezug zwingend; Spannweiten dürfen nicht schematisch als Mittelwerte verwendet werden.

Kann ich gegen eine Richtsatzschätzung vorgehen?
Ja. Formell (Begründung, rechtliches Gehör, Transparenz) und inhaltlich (Region, Zeitraum, Datenauswahl, Verlustbetriebe, Zirkelschluss) bestehen gute Ansatzpunkte. Bei Zweifeln: Mindestschuldumfang verlangen.

Welche Unterlagen helfen in der Verteidigung?
Einkaufs- und Wareneinsatzdaten, Preislisten/Menükarten, Kassenprotokolle, Lieferscheine, Inventuren, Personal- und Öffnungszeitenpläne, regionale Vergleichsdaten.

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