§ 29a BtMG – Handeltreiben in nicht geringer Menge
§ 29a BtMG enthält besonders schwerwiegende Qualifikationen des Betäubungsmittelstrafrechts: die Abgabe an Minderjährige (Abs. 1 Nr. 1) und die Taten mit „nicht geringer Menge“ (Abs. 1 Nr. 2) – namentlich Handeltreiben, Herstellen, Abgeben, Besitzen. Der Strafrahmen beginnt regelmäßig bei einem Jahr Freiheitsstrafe; nur im minder schweren Fall (Abs. 2) reicht er von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Die Kanzlei Buchert Jacob Peter verteidigt bundesweit in BtMG-Verfahren, von der ersten Durchsuchung und Beschlagnahme bis zur Hauptverhandlung – mit Fokus auf Wirkstoffgutachten, Mengenlehre, Konkurrenzfragen und Verfahrensangriffen.
Schnellüberblick: Was droht?
- Abs. 1 Nr. 1: Volljährige über 21 Jahre, die Betäubungsmittel an unter 18-Jährige abgeben/verabreichen/zum unmittelbaren Verbrauch überlassen → Mindeststrafe 1 Jahr.
- Abs. 1 Nr. 2: Handeltreiben, Herstellen, Abgeben, Besitzen mit nicht geringer Menge → Mindeststrafe 1 Jahr (Regelstrafrahmen bis 15 Jahre, je nach Variante).
- Minder schwerer Fall (Abs. 2): Strafrahmen 3 Monate – 5 Jahre; sorgfältige Begründung über stoff-, tat- und täterbezogene Kriterien.
- Praxis-Klippen: Vorsatz zur „nicht geringen Menge“, Wirkstoffgehalt, Bewertungseinheit, Konsumrunde, Konkurrenz zum Besitz, Abgrenzung „Abgabe“ vs. „Überlassen“.
Normstruktur & Einordnung
- Schutzrichtung: Gesundheit Minderjähriger (Nr. 1) und Bekämpfung schwerer Betäubungsmitteldelikte (Nr. 2).
- Betäubungsmittelbegriff: Nur Stoffe der Anlagen I–III zu § 1 BtMG (kein Imitat). Bei „Fake“-Stoffen kommt versuchte Abgabe in Betracht.
- Exkurs Cannabis: Freizeit-Cannabis ist seit KCanG grundsätzlich nicht mehr BtMG; medizinisches Cannabis unterliegt dem MedCanG. Für § 29a BtMG bleibt entscheidend, ob der konkrete Stoff Betäubungsmittel i.S.d. Anlagen ist.
1. Minderjährige (Abs. 1 Nr. 1)
A. Allgemeines
Die Variante sanktioniert Erwachsene ab 21 Jahren, die Betäubungsmittel an Minderjährige (<18) abgeben, verabreichen oder zum unmittelbaren Verbrauch überlassen. Schutzzweck ist die besondere Vulnerabilität Jugendlicher.
B. Objektiver Tatbestand
I. Betäubungsmittel: Echte BtM der Anlagen I–III zu § 1 BtMG. Imitate begründen ggf. Versuch (wenn der Täter von BtM-Eigenschaft ausging) oder sind als andere Delikte zu prüfen.
II. Tathandlungen:
- Abgabe: Übertragung der tatsächlichen Verfügungsmacht an den Minderjährigen zur freien Verfügung. Der Abgabebegriff in § 29a ist weiter als im Grundtatbestand des § 29 BtMG; er umfasst auch rechtsgeschäftlich-entgeltliche Konstellationen (Veräußern/Handeltreiben), sofern in der Situation Gewahrsam übergeht.
- Verabreichen: Zuführung des Stoffes in den Körper (z. B. Injizieren, Einflößen).
- Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch: Einverständnis mit dem (Mit-)Konsum des Minderjährigen; bloßes „Hätte verhindern können“ reicht nicht. Erforderlich ist ein Verhalten, das den Konsum billigt (klassisch: Joint weiterreichen).
III. Erwachsener Täter: Täter muss über 21 Jahre alt sein.
IV. Minderjähriger Empfänger: Adressat der Handlung ist unter 18. Maßgeblich ist das tatsächliche Alter; „nahe Volljährigkeit“ erfordert besonders sorgfältige Feststellungen (Erscheinungsbild, Verhalten, Wahrnehmungsmöglichkeiten des Täters).
C. Subjektiver Tatbestand
- BtM-Eigenschaft: Vorsatz bzgl. Betäubungsmitteleigenschaft.
- Tathandlung: Mindestens Eventualvorsatz (z. B. rechnet damit und billigt, dass der Minderjährige konsumiert oder Gewahrsam erhält).
- Alter: Mindestens Eventualvorsatz, dass der Empfänger minderjährig ist; es genügt, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet.
D. Versuch & Vollendung
Versuch ist möglich (z. B. Ansetzen zur Übergabe). Vollendung mit Gewahrsamswechsel (Abgabe) bzw. Zuführung/Einverständnis beim Konsum.
E. Täterschaft & Teilnahme
Mittäterschaft bei arbeitsteiligem Vorgehen (Beschaffer/Übergeber). Teilnahme (Anstiftung/Beihilfe) u. a. bei Organisation, Bereitstellen von Räumen, Fahrdiensten.
F. Konkurrenzen (Auszug)
- Konsumrunde: Weiterreichen in der Runde kann „Überlassen“ begründen; Abgrenzung zur bloßen Teilnahme am Konsum ist einzelfallabhängig.
- Bewertungseinheit: Mehrere Einzelakte können zur Bewertungseinheit verschmelzen (Handeltreiben-Seriengeschäft).
- Grundtatbestände: Nr. 1 verdrängt regelmäßig leichtere Varianten des § 29 BtMG.
- Handeltreiben/Besitz: Bei Absatz an Minderjährige stehen Nr. 1 (Abgabe) und Nr. 2 (Handeltreiben/Abgeben in nicht geringer Menge) nebeneinander; sorgfältige Konkurrenzprüfung.
- Bestimmen Minderjähriger zum Handeltreiben: eigenständige Delikte in Betracht.
- Leichtfertige Todesverursachung: bei Konsumfolgen denkbar (gesonderte Prüfung).
G. Strafzumessung
Regelmäßig hohe Einsatzstrafen wegen Unrechtssteigerung durch Minderjährigkeit; bedeutsam sind Schutzrichtung, Intensität (Menge, Wirkstoff), Motivlage (kommerziell vs. „Konsumrunde“), Vorbelastungen, Therapie-/Nachsorge.
2. Handeltreiben (Abs. 1 Nr. 2)
A. Tatbestand
Handeltreiben ist jede eigennützige, auf Umsatz gerichtete Tätigkeit – weit auszulegen (Anbahnung, Organisation, Vermittlung, Absatz). Qualifiziert wird der Umgang mit „nicht geringer Menge“ (stoff- und wirkstoffbezogener Grenzwert nach Rspr.).
B. Vorsatz & Konkurrenzen
- Vorsatz: Erfasst auch die „nicht geringe Menge“. Bei Unkenntnis des exakten Wirkstoffgehalts genügt regelmäßig das Einverständnis mit den naheliegenden Reinheitsgraden; bedingter Vorsatz reicht. Überhänge können als Fahrlässigkeitsanteile strafzumessungsrelevant berücksichtigt werden.
- Bewertungseinheit: Mehrere Teilakte desselben Umsatzgeschäfts bilden eine Einheit (Transport, Lagerung, Verkauf).
- Besitz & Handeltreiben: Besitz kann hinter Handeltreiben zurücktreten oder tateinheitlich stehen; Abgrenzung nach Zweckrichtung (Eigenbedarf/Absatz).
3. Herstellen (Abs. 1 Nr. 2)
A. Normzweck
Bekämpfung vorgelagerter Produktionsstufen.
B. Objektiver Tatbestand
- Handlungsweisen: Synthese, Extraktion, Umwandlung, Strecken, Portionieren bei Substanzen der Anlagen.
- Tatobjekt: BtM in „nicht geringer Menge“ – maßgeblich ist der Wirkstoff.
C.–F. Subjektiver Tatbestand, Versuch, Teilnahme, Konkurrenzen
Vorsatz auch zur Mengenschwelle; Versuch bereits bei funktionsfähigem Produktionsansatz. Konkurrenz zu Besitz/Handeltreiben je nach Fallgestaltung.
4. Abgeben (Abs. 1 Nr. 2)
A.–D. Tatbestand & Vorsatz
Abgabe i.S.d. Nr. 2 ist die tatsächliche Gewahrsamsübertragung an einen Empfänger; qualifiziert bei „nicht geringer Menge“. Vorsatz zur Übergabe und zur Mengenschwelle (Parallelwertung in der Laiensphäre).
E.–G. Versuch, Konkurrenzen & Strafzumessung
Versuch denkbar (verabredete Übergabe scheitert); Konkurrenz zu Handeltreiben je nach Einbindung in Umsatzgeschäft. Strafzumessung: Wirkstoffmenge, Rolle im Netzwerk, Gewinnorientierung.
5. Besitz (Abs. 1 Nr. 2)
A. Entstehung & Systematik
Der qualifizierte Besitz „nicht geringer Menge“ schließt die Strafuntergrenze von 1 Jahr ein und bedarf sorgfältiger Prüfung der tatsächlichen Sachherrschaft und des Besitzwillens.
B.–G. Tatbestand, Rechtfertigung, Versuch, Täterschaft, Konkurrenzen, Strafzumessung
- Objektiv: Herrschaftsmacht über BtM in „nicht geringer Menge“ (auch Gemeinschafts- oder Mitbesitz).
- Subjektiv: Wissen und Wollen der Besitzlage; Vorsatz zur Mengenschwelle (Parallelwertung).
- Versuch: möglich (z. B. Ansetzen zum Sich-Verschaffen); Teilnahme: Bereitstellen von Räumen, Transport.
- Konkurrenzen: Rücktritt hinter Handeltreiben möglich; oft Tateinheit bei Durchgangs- oder Vorratsmengen.
- Strafzumessung: Im Vergleich zum Handeltreiben besonderes Augenmerk auf Eigenbedarfsnähe, fehlende Absatzkomponente – Minder schwerer Fall prüfen.
6. Minder schwerer Fall (Abs. 2)
Erfordert eine Gesamtwürdigung. Leitkriterien:
- Drogenbezogen: Stoffart, Wirkstoffgehalt, Grenzwertnähe, Konsumnähe/Eigenbedarf, fehlende Gewinnerzielungsabsicht.
- Handlungsbezogen: untergeordnete Rolle, fehlende Banden-/Gewerbsmäßigkeit, einmaliges Fehlverhalten, kooperative Aufklärung, frühe Therapie/Abstinenz.
- Tateinheit: Bei Zusammentreffen mit anderen Delikten ist der reduzierte Strafrahmen nur sorgfältig begründbar.
Praxis & Verteidigung: So gehen wir vor
- Akteneinsicht & Forensik: Wirkstoffgutachten prüfen/angreifen (Probenahme, Homogenität, Laborverfahren), Mengenkalkulation, Bewertungseinheit.
- Vorsatz zur „nicht geringen Menge“: Parallelwertung in der Laiensphäre, Unkenntnis/Fehleinschätzung, Grenzwertnähe – minder schwerer Fall.
- Konkurrenzen & Rolle: Rücktritt von Besitz hinter Handeltreiben, Abgrenzung Abgabe/Überlassen, Konsumrunde.
- Verfahrensangriffe: Durchsuchungs– und Beschlagnahmekontrolle, Verwertungsverbote, TKÜ, Begründungsmängel, Haftbefehl.
- Strategie: Therapie/Abstinenznachweise, soziale Einbindung, Schadensminimierung, Verständigungsmöglichkeiten.
FAQ zu § 29a BtMG
Was ist eine „nicht geringe Menge“?
Ein rechtlich definierter Wirkstoffgrenzwert, der je nach Stoffart variiert (Rechtsprechung). Entscheidend ist die Wirkstoffmenge, nicht bloß das Bruttogewicht. Grenzwertnähe kann für den minder schweren Fall sprechen.
Ich wusste den Wirkstoffgehalt nicht – hilft das?
Nicht zwingend. Wer mit Betäubungsmitteln umgeht, nimmt häufig die naheliegenden Reinheitsgrade billigend in Kauf. Unkenntnis kann aber Strafzumessung mildern, wenn über die vorsätzlich erfasste Menge hinausgehende Wirkstoffanteile nur fahrlässig erfasst wurden.
Ist das „Weiterreichen“ in der Runde schon strafbar?
Ja, das kann „Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch“ sein – bei Minderjährigen besonders gravierend. Ob „Abgabe“ vorliegt, hängt vom Gewahrsamswechsel ab.
Wann greift der minder schwere Fall?
Wenn die Gesamtwürdigung – Stoff, Menge, Rolle, Motiv, Vorleben, Therapie – das Unrecht deutlich unterdurchschnittlich erscheinen lässt. Er ist nicht auf Grenzfälle beschränkt.
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