Finanzamt – Steuerstrafrecht

Die Rolle des Finanzamts im Steuerstrafrecht: Funktionen, Befugnisse und Verfahrensarchitektur

Einleitung

Das Steuerstrafrecht steht an der Schnittstelle von materiellem Steuerrecht und Strafprozess. Zentraler Akteur ist dabei das Finanzamt in seiner Doppelfunktion: Es ist einerseits Steuerverwaltungsbehörde (Festsetzung und Erhebung), andererseits – vermittelt über Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra) und SteuerfahndungErmittlungs- und Verfolgungsbehörde für Steuerstraftaten und -ordnungswidrigkeiten. Dieses Zusammenspiel ist in der Abgabenordnung (AO) und flankierend im StGB sowie in der StPO geregelt.

Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten

  • § 370 AO (Steuerhinterziehung): Kernnorm des Steuerstrafrechts.
  • § 371 AO (Selbstanzeige): Strafaufhebungsgrund bei vollständiger und rechtzeitiger Nacherklärung; in bestimmten Fällen mit Strafzuschlag nach § 398a AO.
  • § 386 AO (Zuständigkeit der Finanzbehörden): Ermächtigt die Finanzbehörden, Steuerstraftaten zu verfolgen; die Staatsanwaltschaft bleibt Herrin des Ermittlungsverfahrens.
  • § 393 AO (Verhältnis von Besteuerungsverfahren und Strafverfahren): Regelt Informationsflüsse, Mitwirkungspflichten und den Selbstbelastungsschutz.
  • § 208 AO (Steuerfahndung): Aufgaben und Befugnisse der Steuerfahndung (Aufdeckung, Ermittlung, Sicherung).
  • § 376 AO (Verfolgungsverjährung): Verlängerte Verjährungsfristen in besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung.

Institutionelle Rollen innerhalb des Finanzamts

Bußgeld- und Strafsachenstelle (BuStra)

Die BuStra ist organisatorisch dem Finanzamt zugeordnet und verantwortlich für:

  • Einleitung, Leitung und Koordination steuerstrafrechtlicher Ermittlungen (§ 386 AO),
  • rechtliche Würdigung des Sachverhalts, Tatvorwurf und Bußgeld-/Strafbefehlsvorschläge,
  • Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft (Abgabe, Rückfragen, Einstellungsanregungen).

Steuerfahndung

Die Steuerfahndung handelt gem. § 208 AO als besondere Ermittlungsinstanz:

  • Aufdeckung unbekannter Steuerfälle, Ermittlung unbekannter Tatsachen,
  • Durchsuchungen und Sicherstellungen (richterlicher Beschluss nach StPO erforderlich),
  • Auswertung digitaler Daten, Kassen-Nachschau-Schnittstellen, internationale Amtshilfe.

Verfahrensarchitektur: Vom Verdacht bis zur Entscheidung

  1. Risiko- und Verdachtsgenerierung: Auffälligkeiten im Besteuerungsverfahren (z. B. widersprüchliche Erklärungen, Kontrollmitteilungen, Auslandsbezüge) oder externe Hinweise (Verdachtsmeldungen, Betriebsprüfung).
  2. Einleitungsentscheidung (§ 397 ff. AO): BuStra prüft Anfangsverdacht; Parallelität von Besteuerungs- und Strafverfahren nach § 393 AO mit besonderem Blick auf Mitwirkungspflichten.
  3. Ermittlungen: Steuerfahndung erhebt Beweise (Buchführungsdaten, Bankauskünfte § 93 AO, Zeugenbefragungen). Bei Eingriffsmaßnahmen gelten die StPO-Standards (richterliche Anordnung, Verhältnismäßigkeit).
  4. Steuerliche Festsetzung und Schätzung: Trotz Strafverfahren kann steuerlich geschätzt werden (§ 162 AO), um Besteuerungsgrundlagen zu sichern.
  5. Entscheidungspfad:
    • Einstellung (z. B. bei geringer Schuld oder tätiger Reue/Selbstanzeige),
    • Bußgeld (leichtfertige Steuerverkürzung, § 378 AO),
    • Strafbefehl/Anklage (bei § 370 AO), ggf. Einziehung von Taterträgen (StGB §§ 73 ff.).

Selbstanzeige und Compliance-Implikationen

Die Selbstanzeige (§ 371 AO) ist ein steuerstrafrechtlicher Sondermechanismus:

  • Wirkung: Aufhebung der Strafbarkeit, wenn vollständig, rechtzeitig und fristgerecht nacherklärt sowie Steuern + Zinsen entrichtet werden; bei hohen Beträgen Strafzuschlag nach § 398a AO.
  • Sperrgründe: Bekanntgabe von Prüfungsanordnungen, Erscheinen von Ermittlungsbeamten, Tatentdeckung.
  • Praxis: Enge Abstimmung zwischen Steuerabteilung, Verteidigung und Finanzamt; hoher Dokumentationsstandard.

Zusammenarbeit mit Staatsanwaltschaft und Gerichten

Obwohl die Finanzbehörden nach § 386 AO verfolgen dürfen, bleibt die Staatsanwaltschaft verfahrensherrschend. Typische Konstellationen:

  • Frühe Einbindung der Staatsanwaltschaft in komplexen oder eingriffsintensiven Verfahren,
  • Abstimmung bei Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen,
  • Abgabe des Verfahrens an die StA bei besonderer Schwere oder Komplexität.

Rechtsschutz, Verteidigung und Verfahrensfairness

Beschuldigte profitieren von strafprozessualen Garantien (Belehrung, Aussagefreiheit, Verteidigerkonsultation). Streitpunkte in der Praxis:

  • Verwertbarkeit steuerlicher Unterlagen im Strafverfahren (Grenzen des § 393 AO),
  • Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprüfung (Richtervorbehalt, Verhältnismäßigkeit),
  • Schätzung und Anscheinsbeweis vs. in dubio pro reo,
  • Verfolgungsverjährung (insb. § 376 AO).

Praxisbeispiel (verkürzt)

Ein Unternehmen weist wiederholt Margen-/Kassenauffälligkeiten auf. Die Betriebsprüfung meldet an BuStra, die Steuerfahndung beantragt richterliche Durchsuchungen. Digitale Kassendaten belegen Manipulationen. BuStra kalkuliert Hinterziehungsvolumina und regt Strafbefehl an; parallel ergehen geänderte Steuerbescheide mit Zinsen. Die Verteidigung verhandelt über Teilgeständnis und Zahlung; das Verfahren endet gegen Auflage für einzelne Beteiligte, während für die juristische Person steuerlich nacherhoben wird.

Fazit

Das Finanzamt ist im Steuerstrafrecht mehr als nur Festsetzungsbehörde: Es bündelt über BuStra und Steuerfahndung erhebliche Ermittlungskompetenzen. Die normative Steuerung durch §§ 370, 371, 386, 393, 208 AO schafft eine enge Verzahnung von Steuer- und Strafverfahren. Für Praxis und Compliance bedeutet das: präventive Organisation, datenfeste Dokumentation und frühe juristische Steuerung sind entscheidend.


FAQ (SEO)

Ist das Finanzamt Ermittlungsbehörde im Steuerstrafrecht?
Ja. Über BuStra und Steuerfahndung verfolgen Finanzbehörden Steuerstraftaten (§ 386, § 208 AO); die Staatsanwaltschaft bleibt Herrin des Verfahrens.

Welche Befugnisse hat die Steuerfahndung?
Sie darf ermitteln, durchsuchen und sicherstellen – jeweils nach Maßgabe der StPO und unter richterlicher Anordnung (§ 208 AO).

Wie funktioniert die Selbstanzeige (§ 371 AO)?
Vollständige und rechtzeitige Nacherklärung plus Zahlung führt zur Strafaufhebung; bei hohen Beträgen ist ein Strafzuschlag (§ 398a AO) fällig. Sperrgründe beachten.

Wie lange ist Steuerhinterziehung verfolgbar?
Grundsätzlich mehrere Jahre; in besonders schweren Fällen gilt eine verlängerte Verjährung (vgl. § 376 AO).

Benötigen Sie eine Rechtsberatung?
Wir beraten und vertreten Privatpersonen und Unternehmen in Ermittlungsverfahren und Strafverfahren bundesweit und vor allen Gerichten. Profitieren Sie von unserer langjährigen Erfahrung und unserer Kompetenz in Sachen Strafverteidigung.