BUnternehmensgeldbußen und Kumulationsprinzip – Strafverteidigung in Frankfurt und bundesweit
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 6. März 2024 (1 StR 308/23) zentrale Leitlinien zur Kumulation von Unternehmensgeldbußen nach § 30 OWiG herausgearbeitet. Für die Verteidigung in Verfahren mit Unternehmensbezug – etwa im Wirtschaftsstrafrecht oder bei steuerstrafrechtlichen Ausgangsvorwürfen – ist die Entscheidung deshalb praxisrelevant, weil sie das Verhältnis von Anknüpfungstat, Bußgeldzumessung und verfassungsrechtlichen Grenzen neu konturiert. Der amtliche Leitsatz betont: Für jede rechtlich selbstständige Anknüpfungstat ist eine gesonderte Geldbuße gegen den Verband zu verhängen. Das folge aus dem Kumulationsprinzip des § 20 OWiG.
Gleichzeitig bleibt eine Spannung bestehen: Die strikte Anwendung des Kumulationsprinzips kann – jedenfalls in Fällen hoher Bußgeldrahmen oder zahlreicher Taten – in Konflikt mit dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot geraten. Der BGH bejaht die getrennte Festsetzung pro Anknüpfungstat, problematisiert die verfassungsrechtliche Flanke jedoch nicht vertieft. Für Betroffene, insbesondere nebenbeteiligte Unternehmen und verantwortliche Leitungspersonen, verschiebt sich der Fokus damit noch stärker auf die präzise konkurrenzrechtliche Einordnung der Anknüpfungstaten und auf eine belastbare Argumentation zur Verhältnismäßigkeit der Bußgeldbemessung.
Wenn gegen eine Leitungsperson strafrechtlich ermittelt wird und zugleich eine Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG im Raum steht, ist eine frühe, abgestimmte Verteidigung entscheidend. Unsere Strafverteidiger und Fachanwälte für Strafrecht in Frankfurt unterstützen bei der Einordnung der Anknüpfungstaten, der Bußgeldzumessung und der prozessualen Strategie – insbesondere in Verfahren des Wirtschaftsstrafrechts und bei Bedarf auch des Steuerstrafrechts.
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Rechtlicher Hintergrund: § 20 OWiG und die Besonderheit der Unternehmensgeldbuße nach § 30 OWiG
Das Ordnungswidrigkeitenrecht folgt bei Tatmehrheit einem klaren System: § 20 OWiG ordnet an, dass für jede Tat eine gesonderte Geldbuße festzusetzen ist. Eine dem Strafrecht vergleichbare Gesamtstrafenbildung (wie bei Tatmehrheit nach §§ 53 ff. StGB) sieht das OWiG nicht vor. Dieses Kumulationsprinzip kann bei Individualbußgeldern oft beherrschbar bleiben – bei Unternehmensgeldbußen nach § 30 OWiG kann es jedoch erhebliche Größenordnungen erreichen.
§ 30 OWiG knüpft daran an, dass eine Leitungsperson eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht und dabei Pflichten des Unternehmens verletzt oder das Unternehmen bereichert wird bzw. werden soll. Der Bußgeldrahmen kann – abhängig von Vorsatz/Fahrlässigkeit oder bußgeldbewehrter Ausgangsnorm – hoch sein; hinzu kommt, dass moderne Sanktionsregime zunehmend umsatzbezogene Obergrenzen vorsehen. In der Praxis führt die Kombination aus hohen Rahmen und mehreren rechtlich selbstständigen Anknüpfungstaten dazu, dass die kumulierten Beträge rasch in Bereiche wachsen können, die für Betroffene existenziell sind.
Das Urteil des BGH vom 6. März 2024 (1 StR 308/23): eine Geldbuße je Anknüpfungstat
Der 1. Strafsenat hat die Kernaussage eindeutig formuliert: Liegen mehrere rechtlich selbstständige Anknüpfungstaten einer Leitungsperson vor, ist gegen das Unternehmen wegen jeder dieser Anknüpfungstaten eine gesonderte Geldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG zu verhängen. Damit erteilt der BGH Auffassungen eine Absage, die bei tatmehrheitlichem Handeln der Leitungsperson für den Verband nur eine einheitliche Geldbuße annehmen wollten. Begründet wird dies vor allem mit dem Normverständnis: § 30 OWiG knüpft nicht an die gegen die Leitungsperson zu verhängende Strafe an, sondern an deren Taten.
Die Entscheidung erging im Kontext einer Revision und betrifft zudem prozessuale Fragen der Erstreckung (unter Bezugnahme auf § 357 StPO). Gerade in komplexen Verfahren zeigt sich damit ein typisches Verteidigungsfeld: Schon Änderungen bei der konkurrenzrechtlichen Bewertung der Anknüpfungstaten – also der Frage, ob tatsächlich mehrere selbstständige Taten vorliegen – können unmittelbare Auswirkungen auf die Anzahl und Höhe der Unternehmensgeldbußen haben. Für die Verteidigung ist daher die systematische Prüfung der Aktenlage, der Tatabgrenzung und der rechtlichen Würdigung zentral, regelmäßig bereits im Ermittlungsverfahren und mit Blick auf Akteneinsicht.
Verfassungsrechtliche Leitplanken: Schuldgrundsatz, Übermaßverbot und Zumessung nach § 17 OWiG
Die Diskussion um die Kumulation ist nicht nur rechnerisch, sondern verfassungsrechtlich aufgeladen. Der aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schuldgrundsatz verlangt, dass Sanktionen in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des vorwerfbaren Verhaltens stehen. Bei Unternehmensgeldbußen ist das Schuldprinzip zwar strukturell anders verankert als bei Individualstrafen, gleichwohl gelten für den Ahndungsteil verfassungsrechtliche Grenzen; hinzu tritt das Übermaßverbot als Ausprägung der Verhältnismäßigkeit.
Praktisch relevant ist, dass sich die verfassungsrechtliche Prüfung häufig nicht abstrakt entscheidet, sondern an der konkreten Bußgeldbemessung ansetzt. Das OWiG verweist hierfür auf Kriterien wie die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit, den Vorwurfgrad und die wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 17 Abs. 3 OWiG). Wissenschaftlich betrachtet ist Bußgeldzumessung stets eine Mehrkriterien-Entscheidung unter Unsicherheit: Sie muss generalpräventive Erwägungen, Einzelfallgerechtigkeit und die wirtschaftliche Tragfähigkeit in ein kohärentes Ergebnis überführen. Wo Kumulation mechanisch zu extremen Summen führt, wächst das Risiko, dass die Begründungstiefe nicht mehr mit der Eingriffsintensität Schritt hält – ein klassischer Angriffspunkt für Rechtsmittel.
Verteidigungsansätze in der Praxis: Tatabgrenzung, Opportunität, Milderung in der Zumessung
Das Urteil des BGH macht die Weichenstellung deutlich: Wenn die „Eine-Buße-Lösung“ dogmatisch nicht trägt, rückt die Verteidigung auf andere Stellschrauben. Dazu gehören insbesondere die präzise Bestimmung, ob wirklich mehrere rechtlich selbständige Anknüpfungstaten vorliegen, sowie die konsequente Anwendung der bußgeldrechtlichen Zumessungskriterien. Daneben wird in der Literatur und Rechtsprechung diskutiert, ob unverhältnismäßige Ergebnisse durch prozessuale Lösungen und eine abgestufte Zumessung vermieden werden können.
In der Praxis begegnen Verteidigerinnen und Verteidiger typischerweise drei Argumentationslinien, die – je nach Aktenlage – kombiniert werden können:
- Prüfung der konkurrenzrechtlichen Struktur: Liegt tatsächlich Tatmehrheit vor, oder handelt es sich bei einzelnen Vorwürfen um rechtlich unselbständige Teilakte?
- Prozessuale Schwerpunktsetzung: Wo die Sachaufklärung schwach ist, kann die Verteidigung auf eine engere Tatkontur und auf tragfähige Begründungsanforderungen dringen, insbesondere bei Nebenbeteiligung.
- Zumessungsargumente: Parallele Bußgelder können bei der Bemessung mindernd zu berücksichtigen sein, um Übermaßrisiken zu vermeiden.
Gerade bei hohen Summen ist zudem frühzeitig an die Architektur von Rechtsmitteln zu denken, etwa an die Revision oder – je nach Verfahrenslage – an weitere Rechtsbehelfe und Rechtsmittel. Eine belastbare Verteidigung setzt hierfür regelmäßig voraus, dass die entscheidenden Weichenstellungen im Verfahren sauber dokumentiert und rechtzeitig gerügt werden.
FAQ zur Entscheidung des BGH (1 StR 308/23) und zur Kumulation von Unternehmensgeldbußen
Was bedeutet das Kumulationsprinzip des § 20 OWiG?
Bei mehreren Taten ist für jede Tat eine gesonderte Geldbuße festzusetzen. Eine Gesamtbuße nach dem Modell der Gesamtstrafe sieht das OWiG grundsätzlich nicht vor.
Was hat der BGH am 6. März 2024 (1 StR 308/23) entschieden?
Der BGH stellt klar, dass für jede rechtlich selbständige Anknüpfungstat einer Leitungsperson gegen das Unternehmen jeweils eine eigene Geldbuße nach § 30 OWiG festzusetzen ist.
Welche Rolle spielen verfassungsrechtliche Grenzen bei hohen kumulierten Bußgeldern?
Bei sehr hohen Summen können Verhältnismäßigkeit und Übermaßverbot eine maßgebliche Rolle spielen. Dann kommt es besonders auf die Begründungstiefe und die konkrete Zumessung nach OWiG-Kriterien an.
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