Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei
Das Bundesverfassungsgericht (2. Kammer des Ersten Senats) hat sich mit Beschluss vom 21. Juli 2025 (1 BvR 398/24) mit den Anforderungen an die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei befasst. Im Mittelpunkt stehen der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern nach § 53 StPO, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie die Frage, welche Anforderungen an die Subsidiarität einer solchen Maßnahme zu stellen sind.
Der Entscheidung lag ein Ermittlungsverfahren gegen einen Rechtsanwalt wegen versuchten Prozessbetrugs im Zusammenhang mit einem zivilrechtlichen Honorarstreit zugrunde. Die Verfassungsbeschwerde blieb im Ergebnis ohne Erfolg, weil sie nach Auffassung des Gerichts unzulässig war. Zugleich enthält der Beschluss ausführliche Hinweise zu den verfassungsrechtlichen Maßstäben bei Maßnahmen in Kanzleiräumen.
Bei Durchsuchungen in Kanzleiräumen oder der Sicherstellung von Datenträgern steht regelmäßig nicht nur die Position des Beschuldigten, sondern auch die Vertraulichkeit von Mandatsverhältnissen im Raum. Frühzeitig ist insbesondere zu klären, welche Unterlagen vom Beschluss erfasst sind, wie mit elektronischen Daten umzugehen ist und welche prozessualen Schritte (z.B. Beschwerde) in Betracht kommen.
Weitere Informationen finden Sie unter Strafverteidigung, im Bereich Wirtschaftsstrafrecht sowie im Rechtslexikon, unter anderem zu Durchsuchung, Beschlagnahme und Akteneinsicht.
Ausgangslage: Ermittlungsverfahren wegen versuchten Prozessbetrugs
Nach den im Beschluss wiedergegebenen Umständen führte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen einen Rechtsanwalt wegen versuchten Prozessbetrugs. Hintergrund war ein zivilrechtlicher Honorarstreit mit einer ehemaligen Mandantin. Streitpunkt war, ob Gebührenansprüche aus einer Bevollmächtigung und einem Auftritt in einem Gerichtstermin entstanden oder ob eine Vergütung bereits über eine andere Vereinbarung abgegolten war.
Die Anzeigende erstattete vor der Beweisaufnahme im Zivilverfahren Strafanzeige und beantragte wiederholt Einsicht in die Ermittlungsakten, auch mit Blick auf mögliche Schadensersatzansprüche. Das Verfahren war zunächst eingestellt worden. Nach einer Beschwerde der Anzeigenden wurde es wieder aufgenommen, unter anderem gestützt auf Angaben einer Zeugin (ehemalige Bürokraft eines Mitbeschuldigten) sowie auf Bankauskünfte. Später wurden die Angaben der Zeugin in unterschiedlichen Konstellationen erneut protokolliert, wobei der Ablauf nach Aktenlage abweichend dargestellt wurde.
Durchsuchungsbeschluss und Vollzug: Kanzleiräume und Sicherstellung eines Computers
Ein Amtsgericht erließ einen Durchsuchungsbeschluss für die Kanzleiräume des beschuldigten Rechtsanwalts. Begründet wurde dies mit einem Verdacht aufgrund der bisherigen Ermittlungen sowie mit einer Auffindevermutung hinsichtlich Mandats- und Abrechnungsunterlagen. Aus dem Beschluss ergab sich nach der Darstellung im Verfahren, dass eine Abwendungsbefugnis nicht angeordnet wurde, weil Erkenntnisse erst aus einer Gesamtschau verschiedener Unterlagen erwartet worden seien.
Die Durchsuchung wurde vollstreckt; dabei wurde unter anderem ein Computer sichergestellt. Parallel endete der zivilrechtliche Honorarstreit in erster Instanz mit einem Urteil zugunsten des Rechtsanwalts. In diesem Zusammenhang wird im Beschluss erwähnt, dass das Zivilgericht der Aussage der Zeugin in seiner Beweiswürdigung keinen relevanten Beweiswert beigemessen habe.
Beschwerdeverfahren und Verfassungsbeschwerde: Unzulässigkeit wegen nicht ausgeschöpften Rechtswegs
Die gegen den Durchsuchungsbeschluss gerichtete Beschwerde blieb vor dem Landgericht ohne Erfolg. In der Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör). Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerde jedoch nicht zur Entscheidung an, weil sie nach Auffassung der Kammer unzulässig war.
Maßgeblich war dabei, dass der Beschwerdeführer – obwohl er ausdrücklich eine Gehörsverletzung geltend gemacht hatte – nicht substantiiert vorgetragen hatte, den fachgerichtlichen Rechtsweg durch eine Anhörungsrüge ausgeschöpft zu haben. Nach der im Beschluss dargestellten Rechtsprechung gehört die Anhörungsrüge in solchen Konstellationen regelmäßig zum zu erschöpfenden Rechtsweg.
Rechtlicher Hintergrund: Besonderer Schutz bei Durchsuchungen von Berufsgeheimnisträgern
Unabhängig von der Unzulässigkeit arbeitet der Beschluss die verfassungsrechtlichen Maßstäbe heraus. Danach gebietet der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (u.a. § 53 StPO) bei der Anordnung einer Durchsuchung in Kanzleiräumen eine besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Betont wird, dass Durchsuchungen in der räumlichen Sphäre anwaltlicher Berufsausübung regelmäßig die Gefahr mit sich bringen, dass Daten und Unterlagen unbeteiligter Dritter (insbesondere von Mandantinnen und Mandanten) zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen. Das betreffe nicht nur die Position des Rechtsanwalts, sondern berühre auch Grundrechte Dritter sowie das öffentliche Interesse an einer funktionsfähigen Rechtspflege.Der Beschluss verweist zudem auf die Bedeutung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK als Auslegungshilfe, insbesondere im Hinblick auf die Vertraulichkeit anwaltlicher Korrespondenz.
Welche Kriterien nennt das BVerfG für die Verhältnismäßigkeitsprüfung?
Nach den im Beschluss dargestellten Gründen sind bei der Gesamtabwägung insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen:
- Schwere des Tatvorwurfs und Straferwartung im konkreten Fall
- Stärke des Tatverdachts nach Aktenlage
- Grad der Auffindewahrscheinlichkeit (Auffindevermutung) für die gesuchten Beweismittel
- Eingriffstiefe der Maßnahme, insbesondere bei Zugriff auf Datenträger
- Vorhandensein weiterer Ermittlungsansätze und milderer Mittel
Ergänzend stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass es bei Durchsuchungen von Rechtsanwaltskanzleien keine darüber hinausgehenden, verfassungsrechtlich begründeten, strengeren Anforderungen an die Subsidiarität gebe. Insbesondere sei nicht erforderlich, dass die Sachverhaltsaufklärung andernfalls aussichtslos erscheinen müsse.
Hinweise aus den Gründen: Weite Beschlussfassung, digitale Daten und alternative Ermittlungsansätze
Der Beschluss beschreibt für die Angemessenheitsprüfung außerdem typische Belastungspunkte bei Kanzleidurchsuchungen. Dazu zählt insbesondere die Streubreite: In Kanzleiräumen befinden sich regelmäßig zahlreiche verfahrensunerhebliche Informationen, wodurch auch Unbeteiligte in den Wirkungsbereich der Maßnahme geraten können. Bei elektronischer Aktenführung liegt nahe, dass Sicherstellungen und spätere Durchsichten von Datenträgern potenziell Zugriff auf einen umfangreichen Datenbestand eröffnen.
Als weiterer Gesichtspunkt wird im Beschluss thematisiert, dass im Einzelfall mildere Ermittlungsmaßnahmen in Betracht kommen können, etwa die Beiziehung von Akten eines parallel geführten Zivilverfahrens, wenn der strafrechtliche Vorwurf (wie beim Prozessbetrug) eng mit dem zivilprozessualen Vortrag verknüpft ist. In diesem Kontext wird auch angesprochen, dass bestimmte prozessuale Konstellationen (wie ein möglicher Rücktritt vom Versuch) ohne Kenntnis des Zivilakteninhalts nicht zuverlässig beurteilt werden könnten.
Praktische Konsequenzen: Was der Beschluss für Betroffene typischerweise berührt
Auch wenn die Verfassungsbeschwerde im konkreten Fall unzulässig war, macht der Beschluss deutlich, welche Themen in Verfahren rund um Kanzleidurchsuchungen regelmäßig eine Rolle spielen: die konkrete Zielrichtung des Durchsuchungsbeschlusses, der Umgang mit Datenträgern, die Reichweite der Sicherstellung sowie die Frage nach verfahrensbezogenen und verfahrensfremden Informationen. In solchen Konstellationen stehen häufig Schritte wie die Prüfung der Beschlussbegründung, die Dokumentation des Vollzugs und die Beurteilung von Rechtsbehelfen im Raum.
Wer im Zusammenhang mit Durchsuchungen in Kanzleiräumen, Sicherstellungen von Datenträgern oder dem Umgang mit vertraulichen Mandatsunterlagen betroffen ist, sollte frühzeitig unsere Strafverteidiger und Fachanwälte für Strafrecht in Frankfurt – insbesondere in Verfahren des Wirtschaftsstrafrechts und des Steuerstrafrechts – hinzuziehen.
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FAQ
Worum ging es im Beschluss des BVerfG vom 21.07.2025 (1 BvR 398/24)?
Gegenstand war eine Durchsuchungsanordnung für die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen versuchten Prozessbetrugs, einschließlich Fragen der Verhältnismäßigkeit und des besonderen Schutzes von Berufsgeheimnisträgern.
Warum war die Verfassungsbeschwerde unzulässig?
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts wurde der Rechtsweg nicht substantiiert ausgeschöpft, weil bei einer gerügten Gehörsverletzung regelmäßig eine Anhörungsrüge zu den vorrangigen fachgerichtlichen Rechtsbehelfen gehört.
Welche Rolle spielt § 53 StPO bei Kanzleidurchsuchungen?
Der Beschluss betont den besonderen Schutz von Berufsgeheimnisträgern und die damit verbundene Pflicht zu einer besonders sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsprüfung, auch wegen der möglichen Betroffenheit von Mandantendaten.
Verlangt das Grundgesetz, dass vor einer Kanzleidurchsuchung alle anderen Mittel ausgeschöpft sind?
Der Beschluss stellt klar, dass es keine zusätzlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen gibt, wonach die Sachverhaltsaufklärung andernfalls aussichtslos sein müsste. Gleichwohl können alternative Ermittlungsansätze in der Angemessenheitsprüfung Bedeutung gewinnen.
Welche Faktoren sind bei der Verhältnismäßigkeit besonders wichtig?
Genannt werden insbesondere Schwere des Tatvorwurfs, Stärke des Tatverdachts, Auffindewahrscheinlichkeit, Eingriffstiefe (gerade bei Datenträgern) sowie mögliche weitere Ermittlungsmaßnahmen.
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