BGH, Urteil vom 23. Oktober 2024 – 5 StR 382/23: Konkurrenzen beim Abrechnungsbetrug und Einziehung bei Drittbegünstigung einer Gesellschaft

Konkurrenzen beim Abrechnungsbetrug und Einziehung bei Drittbegünstigung einer Gesellschaft

Abrechnungen im Gesundheitswesen sind komplex: ärztliche Leistungen, Heilmittelverordnungen, Sammelerklärungen, Prüfroutinen der Kassenärztlichen Vereinigungen und – im therapeutischen Bereich – häufig die Abwicklung über Abrechnungszentren („unechtes Factoring“). Strafrechtlich kritisch wird es, wenn Abrechnungspositionen geltend gemacht werden, die so nicht erstattungsfähig sind – etwa weil Leistungen nicht erbracht wurden, unter falschen Arztkennungen abgerechnet oder Therapien von nicht qualifizierten Personen durchgeführt wurden.

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 23. Oktober 2024 (Az. 5 StR 382/23) eine Entscheidung getroffen, die in der Praxis gleich zwei zentrale Bereiche betrifft: Zum einen die konkurrenzrechtliche Bewertung bei Serien von Betrugstaten (Tateinheit oder Tatmehrheit) – und zwar für jeden Tatbeteiligten gesondert. Zum anderen die Frage, wann und in welchem Umfang eine Einziehung möglich ist, wenn die Tatvorteile zunächst bei einer Gesellschaft anfallen (Drittbegünstigung), der Täter aber faktisch über Mittelabflüsse profitiert.

Schnelle Orientierung bei Vorwürfen rund um Abrechnungsbetrug und Vermögensabschöpfung

Wenn Ermittlungen wegen falscher Abrechnung, Sammelabrechnungen oder angeblich unberechtigter Auszahlungen bekannt werden, ist ein geordnetes Vorgehen entscheidend: Verfahrensstand klären, Unterlagen sichern und ohne Aktenkenntnis keine vorschnellen Erklärungen abgeben.

Passende Einstiegseiten (interne Links): Strafverteidigung, Steuerstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Ermittlungsverfahren, Akteneinsicht, Steuerfahndung.

Problemaufriss: Serienhafte Abrechnung – viele Einzelfälle, aber nicht immer „viele Taten“

In Ermittlungs- und Hauptverfahren zum Abrechnungsbetrug steht häufig eine Vielzahl von Abrechnungen im Raum: Quartalsabrechnungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung, Sammelrechnungen im therapeutischen Bereich oder wiederkehrende Einreichungen an ein Abrechnungszentrum. Für die strafrechtliche Beurteilung ist dabei entscheidend, wie die Einzelsachverhalte zu Taten zusammenzufassen sind – denn hiervon hängen Schuldspruch, Strafrahmen, Strafzumessung und die Bildung von Gesamtstrafen maßgeblich ab.

Das Urteil des BGH unterstreicht: Bei einer Deliktsserie mit mehreren Beteiligten ist die Frage von Tateinheit oder Tatmehrheit nicht „einheitlich“ für alle zu beantworten. Vielmehr ist sie für jeden Tatbeteiligten eigenständig nach dessen persönlichem Tatbeitrag zu prüfen. Das betrifft insbesondere Konstellationen, in denen eine Person eher organisatorisch oder leitend wirkt, während andere die Einzelabrechnungen in der täglichen Ausführung prägen.Sachverhalt in Kürze: Abrechnungen über verschiedene Einheiten, Zahlungen an Gesellschaften

Im entschiedenen Fall ging es um eine Serie von Abrechnungen aus einem ärztlich-therapeutischen Verbund. Abgerechnet wurden unter anderem ärztliche Leistungen über Sammelerklärungen sowie therapeutische Leistungen über ein Abrechnungszentrum. Aus Sicht der Tatgerichte standen nicht erstattungsfähige Positionen im Raum, etwa weil Leistungen gar nicht oder nicht wie angegeben erbracht wurden oder Qualifikationsvorgaben nicht eingehalten waren. Die Auszahlungen flossen – je nach Bereich – an die beteiligten Gesellschaften.

Gerade diese Struktur ist für die Praxis typisch: Zahlungen treffen zunächst die Organisationseinheit, nicht zwingend die natürliche Person. Strafrechtlich wird dann regelmäßig über zwei Achsen gestritten: Erstens über die Anzahl und Abgrenzung der Taten (Konkurrenzen). Zweitens über die Vermögensabschöpfung, also ob und in welchem Umfang eine Einziehung gegen Täter oder gegen Dritte in Betracht kommt.

Praxis-Hinweis: Worauf die Bewertung „Tateinheit oder Tatmehrheit“ häufig hinausläuft

  • Hat der Betroffene nur einen einheitlichen, mehrere Abrechnungen fördernden Tatbeitrag geleistet (z. B. Organisation/Abrechnungsstruktur)?
  • War er in die einzelnen Abrechnungen tatsächlich eingebunden oder beschränkte sich sein Beitrag auf Vorfeld/Verlauf „im Ganzen“?
  • Gibt es bei der mittelbaren Täterschaft (über Dritte/Abrechnungszentrum) eigenständige Beitragshandlungen, die mehrere Einreichungen zusammenfassen?
  • Welche Zählweise hat das Tatgericht gewählt – und ist sie für jede Person gleichermaßen tragfähig?

Rechtlicher Hintergrund: Abrechnungsbetrug als Betrugstat und typische Streitpunkte

Rechtlich knüpfen derartige Vorwürfe regelmäßig an Betrug (§ 263 StGB) an. Kern ist die Täuschung über abrechnungsrelevante Umstände, die bei der Kassenärztlichen Vereinigung oder der Krankenkasse zu einer Auszahlung führt, auf die kein Anspruch besteht. In der Praxis wird dabei häufig darüber gestritten, ob einzelne Leistungen „an sich“ erbracht wurden, ob sie in der abgerechneten Form und unter den angegebenen Voraussetzungen erstattungsfähig waren und ob der Kostenträger bei wahrheitsgemäßen Angaben gezahlt hätte.

Typische Verteidigungslinien setzen hier an der konkreten Abrechnungssystematik, den internen Prüfmechanismen und der Frage an, ob (und in welchem Umfang) der Kostenträger eine Leistung als wirtschaftlich „wertlos“ ansieht – etwa bei fehlender Qualifikation. Zugleich ist die genaue Feststellung der Tatsachen entscheidend: Welche Position, welche Behandlung, welches Datum, welche Kennzeichnung, welche Unterschrift – und welche Person hatte darauf tatsächlich Einfluss?

Konkurrenzen: Warum der persönliche Tatbeitrag über Tateinheit und Tatmehrheit entscheidetDas Urteil betont einen Grundsatz, der in Serienverfahren oft unterschätzt wird: Die konkurrenzrechtliche Beurteilung ist täterbezogen. Bei mehreren Beteiligten kann die gleiche Deliktsserie für den einen als Vielzahl rechtlich selbstständiger Taten bewertet werden, während sie für den anderen durch einen einheitlichen Beitrag zu gleichartiger Tateinheit „verknüpft“ ist. Maßstab ist, ob der Betroffene lediglich einen einheitlichen, mehrere Einzeltaten fördernden Beitrag leistet, ohne an der Ausführung der einzelnen Taten beteiligt zu sein.

Praktisch führt das zu erheblichen Auswirkungen auf die Strafzumessung: Werden zahlreiche Einzelabrechnungen als eigene Taten gewertet, entstehen viele Einzelstrafen und eine andere Dynamik bei der Gesamtstrafenbildung. Werden dieselben Vorgänge für eine Person zu einer Tat zusammengefasst, verschiebt sich der Fokus auf den kumulierten Schuldumfang innerhalb dieser einen Tat. Diese Fragen sind häufig revisionsrechtlich angreifbar, wenn Tatgerichte schematisch „nach Abrechnungsmodus“ zählen, ohne den individuellen Beitrag sauber zuzuordnen.

Einziehung bei Drittbegünstigung: Gesellschaft erhält das Geld – Täter kann dennoch „erlangt“ haben

Ein zweiter Schwerpunkt des Urteils betrifft die Vermögensabschöpfung. In komplexen Abrechnungsstrukturen fließen Zahlungen häufig an juristische Personen oder rechtsfähige Personengesellschaften. Allein die Mehrung des Gesellschaftsvermögens bedeutet nicht automatisch, dass eine natürliche Person in gleicher Höhe „etwas erlangt“ hat. Umgekehrt kann eine Einziehung aber auch dann in Betracht kommen, wenn sich zeigen lässt, dass Tatmittel oder Taterlöse tatsächlich – ganz oder teilweise – an den Täter weitergeleitet wurden.

Damit rückt die tatsächliche Geldbewegung in den Mittelpunkt: Welche Auszahlungen gab es an Gesellschafter, Geschäftsführer oder leitende Personen? Welche Entnahmen, Ausschüttungen, Gehaltsbestandteile oder sonstige Transfers lassen sich abgrenzen? Wo sind rechtmäßige Vergütungsbestandteile und wo mögliche Tatmittelabflüsse? In der Praxis ist dies häufig eine Frage der Auswertung von Kontounterlagen, der Buchhaltung und der tragfähigen Abgrenzung – insbesondere dann, wenn Tatgerichte pauschal von „nicht trennbar“ ausgehen, obwohl eine differenzierende Betrachtung (ggf. auch im Wege der Schätzung) möglich wäre.

Aus Verteidigungssicht ist zudem wichtig, dass Einziehungsentscheidungen eine belastbare Begründung und nachvollziehbare Berechnungen benötigen. Bei bereits erfolgten Rückzahlungen, Verrechnungen oder Vergleichen ist sorgfältig zu prüfen, ob und in welchem Umfang ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Einziehung greift. Hier kann auch die Systematik gerichtlicher Entscheidungen und Rechtsmittel eine Rolle spielen; als Überblick bietet sich der Einstieg über Rechtsbehelfe und Rechtsmittel an.

Verteidigungsansätze: Was in Abrechnungs- und Einziehungsverfahren regelmäßig zählt

Ein wirksames Vorgehen beginnt in der Regel mit der vollständigen Erfassung des Tatvorwurfs: Welche Abrechnungswege sind konkret gemeint, welche Kostenträger, welche Zeiträume, welche Zählweise der Fälle? Danach folgt die Prüfung der objektiven Voraussetzungen (Abrechnungsfähigkeit, Täuschung, Schaden) und der subjektiven Seite (Vorsatz, Kenntnis, Rollenverteilung). Parallel muss die Einziehung eigenständig betrachtet werden: Wer hat auf welcher Ebene Vorteile gezogen, welche Vermögensbewegungen sind beweisbar, und wo sind Berechnungen lückenhaft oder widersprüchlich?In vielen Konstellationen ist ohne Aktenlage keine seriöse Einordnung möglich. Eine strukturierte Akteneinsicht ist deshalb regelmäßig der Ausgangspunkt – insbesondere, weil Ermittlungsakten oft Auswertungen zu Abrechnungsdaten, Zeugenangaben, Zahlungsströmen und Kommunikationsinhalten enthalten. Je nach Stand des Verfahrens sind zudem Optionen wie Verfahrenseinstellungen oder Verständigungen zu prüfen; als Orientierung zur Einordnung einzelner Schritte kann der Überblick zum Ablauf im Strafverfahren hilfreich sein.

FAQ: Abrechnungsbetrug, Konkurrenzen und Einziehung bei Gesellschaften

Was bedeutet „Konkurrenzen“ im Strafrecht bei Abrechnungsserien?

„Konkurrenzen“ beschreiben, wie mehrere strafrechtlich relevante Einzelakte rechtlich zusammengefasst werden: als mehrere selbstständige Taten (Tatmehrheit) oder als eine Tat durch Verknüpfung (Tateinheit). Bei Serien von Abrechnungen entscheidet das oft über die Zahl der Einzelstrafen und die Gesamtstrafenbildung.

Warum muss Tateinheit oder Tatmehrheit für jeden Beteiligten getrennt geprüft werden?

Weil die Bewertung am persönlichen Tatbeitrag anknüpft. Wer nur einen einheitlichen Beitrag leistet, der mehrere Abrechnungen fördert (z. B. Aufbau/Steuerung eines Abrechnungssystems), kann die geförderten Vorgänge aus seiner Perspektive als Tateinheit verwirklichen – auch wenn andere Beteiligte einzelne Abrechnungen jeweils aktiv ausführen.

Was ist beim „Abrechnungsbetrug“ typischerweise der zentrale Vorwurf?

Meist geht es um eine Täuschung über abrechnungsrelevante Umstände, die zu einer Auszahlung führt, auf die kein Anspruch besteht. Je nach Konstellation stehen falsche Angaben zu Person, Datum, Leistungserbringung oder Qualifikation im Raum. Vertiefend kann der Begriff über Abrechnungsbetrug eingeordnet werden.

Kann gegen eine natürliche Person eingezogen werden, wenn das Geld zunächst an eine Gesellschaft geflossen ist?

Ja, unter Umständen. Allein die Zahlung an eine Gesellschaft bedeutet nicht automatisch, dass die natürliche Person „erlangt“ hat. Eine Einziehung kann aber in Betracht kommen, wenn die Gesellschaft Tatvorteile tatsächlich an den Täter weiterleitet oder wenn die Voraussetzungen einer Drittbegünstigten-Einziehung vorliegen. Zur Systematik siehe Einziehung.

Welche Rolle spielt die Abgrenzung rechtmäßiger Honorare von tatbedingten Zuflüssen?

Eine zentrale. Gerade bei leitenden Personen mit legitimen Vergütungsansprüchen muss sauber differenziert werden, ob Auszahlungen wirtschaftlich und rechtlich „normale“ Honorare darstellen oder ob Tatmittel enthalten sind. Ohne nachvollziehbare Feststellungen und Berechnungen sind Einziehungsentscheidungen häufig angreifbar.

Was sollte ich tun, wenn Vorladung oder Durchsuchung wegen Abrechnungsbetrugs droht?

In der Regel ist es sinnvoll, zunächst den Verfahrensstand zu klären und keine inhaltlichen Angaben ohne Aktenkenntnis zu machen. Maßgeblich ist, ob Sie als Beschuldigter geführt werden, welche Tatzeiträume betroffen sind und welche Beweismittel die Behörden heranziehen. Häufig ist der erste strukturierte Schritt die Beantragung von Akteneinsicht.

Hinweis zur ersten Reaktion bei Abrechnungs- und Einziehungsfragen

In Verfahren mit umfangreichen Abrechnungsdaten und Einziehungsrisiken ist eine vorschnelle Einlassung häufig nachteilig. Regelmäßig empfiehlt sich zunächst die Klärung der Fallzählung (Konkurrenzen), die Prüfung der Abrechnungslogik und eine getrennte Analyse der Einziehung (wer hat was tatsächlich erlangt).

Vertiefung (interne Links): Ermittlungsverfahren, Ermittlungsakte, Beschuldigtenvernehmung / Vorladung, Staatsanwaltschaft als Herrin des Verfahrens.

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