Wie Unternehmen ihr passendes Hinweisgebersystem finden

EU-Whistleblower-Richtlinie: Praxistipps für mittelständische Unternehmens-Entscheider (Teil 3)

Auch wenn das Hinweisgeberschutzgesetz vorläufig auf Eis liegt – mittelständische Unternehmen in Deutschland werden über kurz oder lang nicht darum herumkommen, ein Meldesystem für Hinweisgeber einzurichten. Entsprechende Regelungen sieht nicht nur die EU-Whistleblower-Richtlinie vor, sondern auch das inzwischen in Kraft getretene Lieferkettengesetz. Die Frage lautet daher nicht, ob ein Hinweisgebersystem benötigt wird. Unternehmen sollten sich vielmehr darauf konzentrieren, welches System das richtige für die eigenen Belange ist. In Teil 3 unserer Blog-Serie stellen Nadine Jacobi und ich die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Systeme vor.

(Zur besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text das generische Maskulinum. Gemeint sind immer alle Geschlechter.)

Früher war alles besser: Reinigungskräfte konnten eher Feierabend machen, wenn sie Staub und Schmutz einfach unter den Teppich kehrten. Genauso hielten es vor einigen Jahrzehnten noch manche Unternehmen mit unangenehmen Wahrheiten bezüglich ihres Geschäftsgebarens. Deren Credo hieß damals oft: Wo kein Kläger, da kein Richter. Korruptionsvereinbarungen oder Kartell-Absprachen blieben stets ein gut gehütetes Geheimnis der Chef-Etage oder des mittleren Managements. Lästige Nachfragen von Mitarbeitern wurden gerne mit Kündigungen beantwortet. Hinzu kommt, dass zum Beispiel noch bis zur Jahrtausendwende finanzielle Schmiergeldzahlungen an Geschäftspartner im Ausland vom Finanzamt als betriebliche Sonderausgaben anerkannt und steuerlich geltend gemacht werden konnten.

Findige Vertriebler als Rechenkünstler

In dieser Zeit hatten interne Experten Hochkonjunktur, die rechnen konnten – und wollten. Sie erstellen Kalkulationen, ob sich zum Beispiel Schmiergeldzahlungen auch dann noch für Unternehmen rechnen, wenn sie dabei erwischt werden. Denn die bisher nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht geahndeten Bestechungsdelikte sehen Geldbußen bis maximal zehn Millionen Euro vor. Darüber konnte in der Vergangenheit mancher Konzern nur müde lächeln, zahlte sich doch das durch Schmiergeld gewonnene Geschäft um ein Vielfaches aus. Und nicht jede Staatsanwaltschaft war in der Heranziehung der Regelungen zur Vermögensabschöpfung ganz so firm wie die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen in München. Die Gleichung der Unternehmer sah daher ungefähr so aus: Der Mehrumsatz X führt zum Gewinn Y minus Strafzahlung Z minus Reputationsschaden R – und das Ganze betrachtet im Lichte des möglichen Entdeckungsrisikos E. Erst wenn die Rechnung einen negativen Betrag ergab, was selten der Fall war, geriet die Chefetage ins Grübeln, ob man sich bei der Ausschreibung lieber doch wie ein ehrbarer Kaufmann verhalten sollte.

Kein Hinweisgebersystem ist keine gute Idee

Seit etwa zehn bis 15 Jahren hat sich in deutschen Unternehmen einiges verändert. So gab es in der deutschen Rechtsprechung einige Urteile, denen zufolge vor allem größere Unternehmen dazu verpflichtet sind, eine auf Schadenprävention ausgerichtete Organisation einzurichten. Dadurch wurde die Einrichtung eines Compliance-Management-Systems inklusive Richtlinien, Schulungen, Due Diligence Prüfungen von Third Parties, Interne Untersuchungen, Compliance Kontrollen, Beseitigung von Schwachstellen bei Prozessen und Kontrollen, Sanktionierung von Fehlverhalten und last but not least einem Hinweisgebersystem „state of the art“. Diskutiert wurde somit nicht mehr über das „ob“ eines Compliance- Management-Systems, sondern nur noch über das „wie“. In diesem Punkt bestätigt die entsprechende EU-Whistleblower-Richtlinie also nur einen weiteren Bestandteil der ohnehin von deutschen Gerichten erwarteten Compliance-Maßnahmen.

Neu ist auch die Definition, ab welcher Unternehmensgröße ein Hinweisgebersystem gefordert wird: So sind Betriebe mit mehr als 250 Mitarbeitern dazu aufgefordert, voraussichtlich innerhalb der nächsten zwei Jahre ein Hinweisgebersystem zu installieren. Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten sollen dafür noch weitere zwei Jahre Zeit haben. Aktuell sieht der Referentenentwurf zum Hinweisgeberschutzgesetz allerdings keine Strafen für Unternehmen vor, die kein Hinweisgebersystem einrichten. Ob es dabei nach Überarbeitung oder Neuauflage in der neuen Legislaturperiode bleibt, ist offen. Nichtsdestotrotz…ein Hinweisgebersystem nicht einzurichten, ist trotzdem keine gute Idee.

Wer die Wahl hat, …

Bei der Frage, für welches Hinweisgebersystem sich Unternehmen entscheiden sollten, gibt es klare Ausschlusskriterien und einige Wahlfreiheiten. Hier unsere Übersicht:

Der Kummerkasten: Das billige Spielzeug

Wir wissen nicht, ob es ein pfiffiger Controller war, der aus Kostengründen einfach einen Briefkasten als Meldesystem installierte. Unser Fall aus der Praxis: Ein Mitarbeiter wurde von der Überwachungskamera dabei aufgenommen, wie er einen Hinweis einwarf. Seine Identität wurde ermittelt, er wurde inquisitorisch vernommen, entlassen, und ist noch heute arbeitslos. Aber auch ohne Kamera gilt: Ein solcher Kummerkasten ist kein Meldesystem. Hinweisgeber vertrauen einer solchen Briefkastenlösung nicht, weil sie nicht wissen, wer die Informationen im Unternehmen erhält. Auch sind hierüber keine Rückfragen zur Aufklärung des Sachverhalts möglich. Unser Fazit: Hier wird am falschen Ende gespart und das Unternehmen nimmt sich dadurch möglicherweise die Gelegenheit, frühzeitig an wichtige Informationen zu kommen.

Die interne Mail-Adresse: Big brother is watching you!

Moderner als der Briefkasten – nur nicht besser: eine E-Mail-Adresse zur Meldung von Unregelmäßigkeiten und Fehlverhalten. Unser Fall aus der Praxis: Der IT-Administrator erhielt von einem leitenden Angestellten die Weisung, alle Mails mit der Absender-Kennung des Meldesystems und der Erwähnung seiner Abteilung direkt an ihn umzuleiten. Dieser Hinweis sollte sozusagen elektronisch unter den Teppich gekehrt werden. Der Abteilungsleiter wurde entlassen, nachdem sich der Administrator offenbart hatte. Die Mail-Adresse hat aber auch echte systemische Nachteile: Der Hinweisgeber weiß nicht, wo die Mail am Ende landet. Vertrauen kann dadurch nicht entstehen.

Die Hotline: Wer ist am Apparat?

Die ersten „Whistleblower“-Hotlines wurden von Unternehmen in den Vereinigten Staaten eingerichtet. Die Bezeichnung „Cold Line“ hätte es besser beschrieben. Anrufer wussten nicht, wer ihren Anruf entgegennahm. Aus Kostengründen waren es Mitarbeiter eines Call-Centers, die natürlich weder Ahnung vom Unternehmen, der Branche und seinen Geschäftsaktivitäten noch von einer Sachverhaltsaufklärung oder Compliance-Aspekten hatten. Wesentliche Informationen, die oftmals nur in einem Erstgespräch erfragt werden können, gehen dadurch verloren. Fazit: Hotlines zu sogenannten Call-Centern eignen sich vielleicht als Vertriebskanal, sind jedoch als Hinweisgebersystem ungeeignet.

Das extern installierte elektronische Meldesystem: Sicherheit geht vor

Das erste qualifizierte elektronische Meldesystem, das speziell als Hinweisgebersystem konzipiert war, wurde vor rund 20 Jahren erstmals angeboten. Seitdem wurden die Systeme kontinuierlich weiterentwickelt, und die Zahl der Anbieter ist deutlich gewachsen. Vor allem Unternehmen mit zahlreichen Tochtergesellschaften im Ausland bietet diese Lösung durchaus Vorteile: Es ist in nahezu allen Sprachen verfügbar und weltweit einfach und rund um die Uhr zugänglich. Nachteil: Hier kann der Hinweisgeber nur über Umwege und nicht im persönlichen Gespräch Fragen stellen. Gute Systeme sind auf dem neuesten Stand der Technik. Und – ganz wichtig: Keinesfalls darf der Anbieter einer solchen technischen Lösung Zugriff auf die Daten haben. Schließlich gilt auch hier: Der Nutzer sollte erfahren, wer seine Zuschrift empfängt. Nachteil: Gute Systeme haben oftmals ihren Preis. Dieser rechnet sich jedenfalls bei Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern.

Niederschwellig angelegte elektronische Meldesysteme führen auch dazu, dass unbrauchbare Hinweise eingehen – vor allem dann, wenn keine Erläuterungen vorgeschaltet sind, die darauf hinweisen, dass das System nicht für Beschwerden über erhöhte Raumtemperaturen im Büro, unfreundliche Vorgesetzte oder die kaputte Beleuchtung im Treppenhaus genutzt werden sollte. Schmunzeln Sie nicht – wir sprechen auch hier aus Erfahrung. Fazit: Spezielle elektronische Meldesysteme können für weltweit operierende Unternehmen mit entsprechend vielen Mitarbeitern eine erwägenswerte, gute Option sein. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen sollten die Kosten für Lizenzen und die Anpassung der IT-Landschaft im Blick haben, damit diese den Nutzen nicht übersteigen.

Die Ombudsperson: Vertrauensanwalt mit persönlicher Note

Die Deutsche Bahn AG war im Jahre 2000 das erste Unternehmen, das zwei Rechtsanwälte als Ombudspersonen berufen hat. Einer davon war Dr. Rainer Buchert. Wenig später entschied sich die Volkswagen AG ebenfalls für zwei Ombudspersonen und mandatierte ebenfalls Dr. Rainer Buchert. Das Modell „Ombudsmann“ machte bald Schule, weitere Unternehmen folgten dem Beispiel.

Der Vorteil: Die Ombudsperson kann Fragen von Hinweisgebern direkt beantworten – was in zwei Dritteln aller Fälle in Anspruch genommen wird. Hinweisgeber wollen häufig wissen, was ihr Hinweis auslöst, wie die weiteren Schritte aussehen oder ob er/sie sich strafbar macht. Wichtig zu wissen ist, dass eine Ombudsperson den Hinweisgeber in einem begrenzten Umfang auch beraten darf – daher der Begriff „Vertrauensanwalt“. Hinweisgeber erhalten beispielsweise die Information, dass es sich zunächst um ein vertrauliches Gespräch unter Zweien handelt und der Hinweisgeber am Ende selbst entscheidet, ob und welche der gegebenen Informationen von der Ombudsperson weitergegeben werden dürfen. Erfahrene Ombudspersonen können unmittelbar sachdienliche Rückfragen stellen, die eine spätere Aufklärung auf Unternehmensseite spürbar erleichtern.

Diese Möglichkeit eines unmittelbaren Dialogs ist gegenüber einem reinem webbasierten Hinweisgebersystem ein großer Vorteil. Hier ist der Hinweisgeber nach Abgabe seines Hinweises häufig nicht mehr erreichbar. Ein qualifiziertes elektronisches System lässt eine solche Kontaktaufnahmen zwar standardmäßig zu. Der Hinweisgeber „logt“ sich häufig später jedoch nicht mehr ein, so dass ihn Fragen nicht mehr erreichen. Die Folge: Die Sachverhaltsaufklärung kann nicht weiter fortgesetzt werden, da wichtige Informationen fehlen.

Weiterhin kann die Ombudsperson aufgrund des persönlichen Kontakts meistens besser beurteilen, ob der Hinweis glaubhaft und ernst zu nehmen ist und das Unternehmen entsprechend beraten. Viele Unternehmen haben inzwischen dafür gesorgt, dass sowohl Männer als auch Frauen als Ombudspersonen erreichbar sind. Dies kann gerade in Fällen von sexueller Belästigung, bei denen überwiegend Frauen betroffen sind, für das Opfer von enormer Bedeutung sein: Die Bereitschaft, sich gegenüber einer Ombudsfrau zu offenbaren, ist oftmals deutlich höher als gegenüber einem Ombudsmann.

Fazit: Der Einsatz einer Ombudsperson bietet viele Vorteile für Unternehmen, die sich mit der Einrichtung eines Hinweisgerbsystems beschäftigen. Die Funktion der Ombudsperson kann ein erfahrener Rechtsanwalt mit Expertise in den Bereichen Compliance und Interne Untersuchungen übernehmen.

Thema Kosten: Die Ombudsperson berechnet in der Regel eine monatliche Pauschale für ihre regelmäßige Verfügbarkeit zur Entgegennahme von Hinweisen. Hinzu kommen Aufwände, wenn die Ombudsperson konkret tätig wird, mit Hinweisgebern spricht, Berichte fertigt, das Unternehmen berät. Dies wird nach anwaltlichen Stundensätzen berechnet.

Inzwischen gibt es darüber hinaus Anbieter von webbasierten Systemen, die dem Unternehmen einen Link zur Verfügung stellen, mit dessen Hilfe Mitarbeiter unter Wahrung ihrer Identität direkt Kontakt zu einer Ombudsperson aufnehmen können. Die Kosten sind hier für Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitern überschaubar. (Mehr zum Thema „Ombudsperson“ folgt in Teil 5 unserer Blog-Serie).

Die Hybrid-Lösung: Halb Mensch, halb Maschine

Große Unternehmen mit mehreren tausend Mitarbeitern in vielen Ländern kombinieren die Vorteile des elektronischen Meldesystems mit denen der Ombudsperson und bieten ihren Beschäftigten damit zwei Kommunikationskanäle an. Diese Hybrid-Lösung ist besonders für international aufgestellte Konzerne eine Option, für mittelgroße Unternehmen vom Start weg in der Regel nicht unbedingt nötig.

Sie haben das ideale Hinweisgebersystem für Ihr Unternehmen gefunden? Sehr gut. Folgen Sie auch weiterhin unserem Blog und erfahren Sie, warum selbst das ideale Hinweisgebersystem nichts nützt, wenn es einfach nur installiert wird. An dieser Stelle! In zwei Wochen!

Autor

Nadine Jacobi und Dr. Rainer Buchert,

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