9 typische Fehler im Umgang mit Hinweisgebern

EU-Whistleblower-Richtlinie: Praxistipps für Unternehmens-Entscheider (Teil 4)

Die Einrichtung eines Hinweisgebersystems ist für Unternehmen relativ einfach. Soll daraus jedoch eine Erfolgsgeschichte werden, sind einige Aspekte zu bedenken. Die gute Nachricht: Hohe Investitionen sind dafür nicht erforderlich. Es geht vielmehr darum, das Vertrauen der Belegschaft zu gewinnen. Welche Fehler häufig gemacht werden, erläutere ich gemeinsam mit Dr. Rainer Buchert in Teil 4 unserer Blog-Serie zur EU-Whistleblower-Richtlinie.

(Zur besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text das generische Maskulinum. Gemeint sind immer alle Geschlechter.)

Die Geschäftsleitung ist glücklich: Vor 15 Monaten hatte man sich für das vermeintlich beste, weil teuerste, elektronische Hinweisgeber-System entschieden, mit einigem technischen Aufwand im Intranet installiert, den Mitarbeiter ausführlich vorgestellt – aber bisher keinen einzigen Hinweis aus der Belegschaft erhalten. „Wir machen eben alles richtig“, zieht der Chef zufrieden sein erstes Resümee. Das kann sein – muss es aber nicht.

Fehler 1: Wenige Hinweise sind kein Beweis für gute Compliance

Unternehmen, die noch keine langjährige Erfahrung mit Hinweisgebersystemen haben, schätzen die Zahl eingehender Hinweise von Whistleblowern bei Ombudspersonen fast immer viel zu hoch. Hier sind unsere Erfahrungswerte aus langjähriger Tätigkeit als Ombudsperson: Aus Unternehmen mit rund 1.000 Beschäftigten erhält die Ombudsperson im Durchschnitt null bis vier Hinweise – pro Jahr. Interessant: Selbst aus Unternehmen mit 10.000 Beschäftigten erreichen Ombudspersonen pro Jahr nur fünf bis zehn Meldungen von Hinweisgebern. Eine Ombudsperson für einen Konzern mit rund 100.000 Mitarbeitern erhält im Durschnitt 20-50 Informationen pro Jahr, die Hinweisgeber liefern. Die Zahl der Hinweise, die direkt im Unternehmen abgegeben werden, liegt indes höher. Dies zeigt, dass sich unsere Geschäftsführung mit null Hinweisen eher in falscher Sicherheit wiegt.

Fehler 2: „Befehl & bedingungslose Loyalität“ als Unternehmenskultur

Ein häufiger Grund für den Mangel an eingereichten und registrierten Hinweisen von Hinweisgebern ist die intern gelebte Kultur. Ein Beispiel ist das Führungssystem „Befehl und bedingungslose Loyalität“. Widerspruch von Mitarbeitern wird in dieser Unternehmenskultur nicht gerne gesehen, im Wiederholungsfall nicht selten mit Entlassung „belohnt“. Die im Verhaltenskodex angelegten Leitbilder des Unternehmens –Transparenz, Integrität, ethischer Umgang mit Geschäftspartnern, sind reine Makulatur. Dementsprechend groß ist die Angst, als Hinweisgeber enttarnt zu werden – die Folge ist Schweigen.

Fehler 3: „Wasser predigen, Wein trinken“

Ein anderes Motto, das Hinweisgeber ebenfalls abschreckt, heißt „Wasser predigen, Wein trinken“. Unser Beispiel: In Besprechungen wird häufig propagiert, dass das Unternehmen eine „Null-Toleranz-Haltung“ bei Compliance-Themen hat. Viele Mitarbeiter wissen jedoch, dass die Geschäftsleitung in Hinterzimmer-Gesprächen mit den Vertriebschefs „um jeden Preis“ immer höhere Umsätze fordert. Dies führt uns zum nächsten Punkt: Hinweisgeber fürchten, dass ihre Information auf dem Tisch von genau jener Geschäftsleitung landet, die zwar Compliance predigt, aber im Hinblick auf geschäftliche Interessen bereit ist, die Regeln zu brechen.

Fehler 4: Keine Informationen, wo der Hinweis ankommt und wer Zugriff auf diesen hat

Ein großes Thema ist die interne Kommunikation. Viele Unternehmen haben zwar einen Meldekanal für Hinweisgeber geschaffen, lassen aber die Mitarbeiter im Unklaren, wer im Unternehmen oder als externer Partner diese Hinweise erhält, bearbeitet und gegebenenfalls weitere Maßnahmen veranlasst. In diesen Fällen wird entweder überhaupt nicht kommuniziert, wo die Hinweise landen, oder es werden Abteilungen bzw. eine externe Kanzlei genannt. Informationen zu den Personen bleiben aus. Bei dieser Gelegenheit fehlt häufig auch der wichtige Hinweis, dass die Identität der Hinweisgeber geschützt wird. Dementsprechend gering ist die Bereitschaft in der Belegschaft, womöglich brisante Informationen an unbekannte Empfänger zu liefern. Die Angst vor Repressalien wird dadurch noch größer.

Fehler 5: Der Chef schweigt – oder findet die falschen Worte

Ein anderes Beispiel, wie eine mangelhafte interne Kommunikation Hinweisgeber zum Schweigen bringen kann, ist die Vorstellung des neu eingerichteten Hinweisgebersystems. Punkt 1: Nicht der Geschäftsführer oder Vorstand stellen den Meldekanal in der Betriebsversammlung und der monatlichen Intranet-Botschaft ausführlich vor und erläutert die Bedeutung für das Unternehmen und die Geschäftsführung, sondern ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung erwähnt die Neuerung – vielleicht sogar nur in einem Nebensatz. Aber selbst wenn der Chef persönlich das Wort ergreift, kann das negative Folgen haben. Unser Lieblings-Zitat: „Wir haben jetzt auch ein Hinweisgebersystem. Wenn Sie glauben, etwas melden zu müssen, finden Sie das in unserem Intranet.“

Fehler 6: Versteckspiel im Intranet

Im Intranet sucht der potentielle Hinweisgeber das Meldesystem – und sucht weiter. Weder die Suchfunktion bringt das gewünschte Ergebnis noch die Besuche in den unzähligen Intranet-Kapiteln. Kein Wunder: Manche Unternehmen verstecken das Hinweisgebersystem unter einer kryptischen, unternehmenseigenen Bezeichnung, am besten im Kapitel „Nachhaltigkeit“. Andere nutzen hierfür die Unterfunktion „Formulare“, am besten mit durchnummerierten Dokumenten ohne inhaltliche Angaben. Oder es wird sich ein besonderer Name für das Hinweisgebersystem ausgedacht, welches Mann/ Frau auch nur dann wiederfindet, wenn der Begriff bekannt ist. Das mag dann vielleicht noch dem Internen nach langem Suchen gelingen. Sollte aber auch dem Externen auf der Webseite des Unternehmens die Möglichkeit gegeben werden, Hinweise abzugeben, sollte dies nicht daran scheitern, dass er den besonderen Namen des Hinweisgebersystems nicht kennt.

Fehler 7: Was ist mit den Hinweisen geschehen?

Ebenfalls in das Feld „Interne Kommunikation“ fällt die Information an die Mitarbeiter, ob und welche Hinweise das Unternehmen im abgelaufenen Jahr erhalten hat. Bleiben wir zunächst beim schlechten Beispiel: Es erfolgt keinerlei Information. Das Unternehmen bezieht sich auf den zugesicherten Schutz der Identität der Hinweisgeber, den Schutz einzelner Mitarbeiter oder Abteilungen vor unberechtigten Vorwürfen und die Persönlichkeitsrechte von sanktionierten Mitarbeitern. Alles nicht ganz falsch.

Aber professionell agierende Unternehmen legen statistische Informationen vor, die sie zum Teil in ihrem externen Nachhaltigkeitsbericht publizieren – wozu sie sogar gemäß Lieferkettengesetz unter § 10 Abs. 4, gesetzlich verpflichtet sind, Das kann zum Beispiel so aussehen: Im vergangenen Jahr wurden insgesamt 6 Hinweise abgegeben. Zwei davon betrafen Personalthemen, weitere zwei umfassten Hinweise auf Korruption. Bei den übrigen Hinweisen fehlten wichtige Informationen, so dass eine Sachverhaltsaufklärung nicht möglich war. Bei insgesamt drei Hinweisen haben sich die Hinweise nach sorgfältiger Prüfung nicht bestätigt, in einem Fall führte der Hinweis zu einer Sanktion. Wir bedanken uns bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die gegebenen Hinweise und werden auch weiterhin alle Hinweise mit der nötigen Ernsthaftigkeit bearbeiten.

Top-Manager, die kein Interesse an sachdienlichen Hinweisen auf Fehlverhalten innerhalb des Unternehmens zeigen, haben noch zwei weitere, sehr mächtige Instrumente an der Hand, mit denen die Zahl der Hinweise verlässlich auf null gehalten werden kann.

Fehler 8: Mangelhafte Sachverhaltsaufklärung

Beginnen wir mit dem Thema „Sachverhaltsaufklärung“. In einem Unternehmen spricht es sich dank eines gut funktionierenden Flurfunks sehr schnell herum, wie der Arbeitgeber mit Hinweisen von Whistleblowern verfährt. Die Palette reicht von inquisitorisch anmutenden Befragungen von Verdächtigen, zuweilen ohne substantielle Nachweise vorlegen zu können, bis hin zur konsequenten Nicht-Verfolgung selbst detailliert nachvollziehbarer Hinweise. Die unterschwellige Botschaft ist klar: Die Informationen kommen in „falsche Hände“.

Unternehmen, die Hinweisgeber ernst nehmen, bearbeiten eingegangene Informationen professionell und mit dem notwendigen Sachverstand. Sie bemühen sich darum, so viele sachdienliche Hinweise zu erhalten wie möglich, stellen auf dieser Basis weitere interne Untersuchungen an und diskutieren diese, sofern sie die nötige Qualität aufweisen. Größere Unternehmen gründen hierzu ein internes Komitee. In diesem Kreis treffen sich z. B. regelmäßig die Leiter der Abteilungen Compliance, Recht, Personal, Interne Revision, Risiko Management und eventuell weitere Führungskräfte. Kleinere Unternehmen verfügen häufig nicht über solche personellen Ressourcen. Demnach ist hier der Personenkreis, in dem eingegangene Hinweise besprochen werden, deutlich kleiner. Für beide Konstellationen gilt: In dem berufenen Kreis muss zuerst plausibilisiert werden, ob ein Anfangsverdacht für ein Fehlverhalten vorliegt. Nur dann dürfen interne Ermittlungen veranlasst werden, durch die der Verdacht erhärtet oder entkräftet werden kann. Alles wird in einem Protokoll erfasst und mit Berichten zu den Untersuchungsergebnissen dokumentiert. Am Ende der Sachverhaltsaufklärung wird entschieden, z.B. auf Vorschlag des Komitees, ob und welche Sanktionen erlassen werden. Und bitte niemals unmittelbar nach Eingang des Hinweises den Betroffenen zu den Vorwürfen befragen. Es sollte immer erst eine neutrale Sachverhaltsaufklärung durchgeführt werden, um beurteilen zu können, ob an den Vorwürfen überhaupt etwas dran ist. Wenn ja, brauchen Sie die vorangegangene Sachverhaltsaufklärung, um beurteilen zu können, ob der Betroffene im Interview die Wahrheit sagt.

Fehler 9: Sanktionen nach „Gutsherrenart“

Wie beim Thema „Sachverhaltsaufklärung“ machen früher oder später auch Informationen die Runde, ob und wie nachgewiesene Compliance-Verstöße sanktioniert wurden. Auch hier wieder ein Beispiel aus der Kategorie „Wie Unternehmen am besten vermeiden, Hinweisgeber zu ermutigen“: Der Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft wurde am Ende einer umfassenden und professionellen Sachverhaltsaufklärung der Korruption überführt. Da seine Gesellschaft jedoch gute Zahlen schrieb, wurde beschlossen, auf eine Kündigung zu verzichten und ihm gegenüber in einem mündlichen Gespräch eine Ermahnung auszusprechen. „Du, du, du!“ Der betroffene Geschäftsführer gelobte natürlich hoch und heilig Besserung. Nur wenige Monate danach wurde er auf den Geschäftsführerposten der größten Tochtergesellschaft befördert.

In einem anderen Fall hatte ein Mitarbeiter aus dem IT-Bereich mehrere gebrauchte iPads mitgehen lassen und diese anschließend weiterverkauft. Nach Entdeckung und Nachweis der Tat wurde der Mitarbeiter nach Durchführung eines Entlassungsgesprächs unmittelbar freigestellt. In Verbindung mit obigem Beispiel kommt hier beim Mitarbeiter und potentiellen Hinweisgeber die Message an: Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen“. Wer nach solch ungleichen Maßstäben sanktioniert, darf sich nicht wundern, wenn Hinweisgeber kein Vertrauen in den sachgerechten Umgang mit ihren Hinweisen haben. Eine Meldung ergibt dann für sie keinen Sinn.

Folgen Sie auch weiterhin unserem Blog, wenn wir in der nächsten Folge das Thema „Kosten“ beleuchten und zeigen, dass Unternehmen bei der Kalkulation oftmals einen wichtigen Aspekt außer Acht lassen. An dieser Stelle! In zwei Wochen!

Autor

Nadine Jacobi und Dr. Rainer Buchert,

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