Altgold: „Wissenmüssen“ von fremdem Mehrwertsteuerbetrug

Bundesfinanzhof: Beschluss vom 20.10.2021 – XI R 19/20

In einem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) aus 2021 wird behandelt, inwieweit Steuerpflichtige verpflichtet sind, sich über mögliche Unregelmäßigkeiten oder Verdachtsmomente bezüglich eines Mehrwertsteuerbetrugs bei ihren Geschäftspartnern, insbesondere in der Altgoldbranche, zu informieren. Der Fall bezieht sich auf die Verwehrung von Vorsteuern im Kontext von Altgoldlieferungen (Urteil vom 20. Oktober 2021, XI R 19/20, Abruf-Nr. 228420).

Gemäß dem BFH ergibt sich aus den geltenden gesetzlichen Bestimmungen, dass der Steuerpflichtige eine aktive Verantwortung trägt, sich über die Zuverlässigkeit seiner Geschäftspartner zu überzeugen, wenn Anhaltspunkte für potenziellen Mehrwertsteuerbetrug vorliegen. Hierbei kommt es entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an, die nach den Beweisregeln des nationalen Rechts ermittelt werden müssen.

In dem erörterten Fall zog der BFH mehrere Indizien heran, um festzustellen, dass der Steuerpflichtige von den möglichen Mehrwertsteuerbetrügereien seiner Goldlieferanten hätte „wissen müssen“. Ein zentrales Indiz war das außergewöhnliche Umsatzwachstum, welches in einem kurzen Zeitraum realisiert wurde, und zwar ohne plausible Erklärungen, die die rasante Steigerung hätten nachvollziehbar machen können. Diese Tatsache warf bereits erste Zweifel am wirtschaftlichen Handeln der beteiligten Goldlieferanten auf.

Darüber hinaus war es auffällig, dass die umfangreichen Goldlieferungen ohne jegliche Sicherheit und ohne dokumentierte schriftliche Vertragsbeziehungen abgewickelt wurden. Solche transaktionsbezogenen Mängel erweckten den Verdacht einer möglichen betrügerischen Absicht, da sie grundlegende Prinzipien eines ordnungsgemäßen Geschäftsverkehrs in Frage stellten.

Ein weiterer Punkt, der das Vertrauen in die Geschäftspraktiken der Lieferanten unterminierte, war die Tatsache, dass der Steuerpflichtige auf Nachfrage einer beteiligten Bank hinsichtlich der Hintergründe der signifikanten Umsatzsteigerung falsche Informationen bereitgestellt hatte. Diese Unwahrheit verstärkte den Eindruck einer bewussten Täuschung oder zumindest der Unkenntnis über die wiederkehrenden Unregelmäßigkeiten.

Die Reputation der Goldlieferanten in den relevanten Branchenkreisen war ebenfalls negativ. Es lagen dem Steuerpflichtigen bereits negative Bonitätserklärungen von Creditreform vor, die die Zuverlässigkeit dieser Geschäftspartner in Frage stellten. Hierbei wird deutlich, dass alle Anzeichen dafür sprachen, dass der Steuerpflichtige von Anfang an hätte wissen müssen, dass die gelieferten Altgoldprodukte möglicherweise in betrügerischer Absicht erworben wurden.

Zusammenfassend kommt das Urteil des BFH zu dem Ergebnis, dass der Steuerpflichtige nicht nur passive Informationen über die Vertrauenswürdigkeit seiner Geschäftspartner einholen muss, sondern auch aktiv Nachforschungen anstellen sollte, wenn Anzeichen für Steuerhinterziehung oder unregelmäßige Geschäftspraktiken vorliegen. In Anbetracht der dargestellten Indizien war es dem Steuerschuldner daher nicht möglich, sich von der Verantwortung zu befreien und Vorsteuern geltend zu machen. Dieses Urteil unterstreicht die wichtigere Rolle, die das „Wissenmüssen“ im Kontext der Mehrwertsteuervorschriften spielt, insbesondere in einer Branche, die anfällig für Betrug ist.

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