Sachverhalt
In dem Verfahren in erster Instanz, wurde der Angeklagte vom Landgericht wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, während die Einziehung des Wertes der Taterträge abgelehnt wurde. Laut den Feststellungen des Gerichts gründete der Angeklagte 2006 zusammen mit dem gesondert Verfolgten S. die G. Ltd. mit Sitz in G., die in den Jahren 2008 und 2009 bei Cum-Ex-Aktiengeschäften als Leerverkäuferin agierte. In 22 Fällen trat die F. GmbH, deren Geschäftsführer der Angeklagte war, als Leerkäuferin auf. Ziel dieser Geschäfte war es, der G. Ltd. Gewinne zu verschaffen, indem sie über einen Broker (e. AG) den Kaufpreis der Aktien einschließlich der Kapitalertragsteuer (KapESt) und des Solidaritätszuschlags (SolZ) vereinnahmte, der F. GmbH jedoch nur die Nettodividende ohne diese Steuern zahlte. Der Angeklagte wusste spätestens nach dem dritten Geschäft, dass es sich um eine „Doppelerstattung“ handelte, bei der das Finanzamt (FA) KapESt und SolZ erstattete, obwohl diese nicht abgeführt worden waren – eine Praxis, die intern als „double dip“ bezeichnet wurde.
Zur Täuschung wurde die F. GmbH in den Jahren 2007 bis 2011 durch die C. N. V. bescheinigt, dass bei allen Cum-Ex-Geschäften die KapESt und SolZ einbehalten worden seien. Tatsächlich wurde diese Steuer aber nie einbehalten, und die Depotbank der G. Ltd. behielt keine Steuern ein. Stattdessen wurde ein fiktiver „Buchungskreislauf“ erschaffen, in dem durch die Einschaltung von Zwischengesellschaften und gegenläufigen Handelsgeschäften die Steuererstattung durch das FA ungerechtfertigt beansprucht wurde.
Der Angeklagte gab in den Körperschaftsteuererklärungen der F. GmbH 2008 und 2009 jeweils falsche Angaben zu den einbehaltenen Steuerbeträgen, woraufhin das FA auf Grundlage dieser Erklärungen unberechtigte Erstattungen vornahm: Im Jahr 2008 wurden ca. 32,8 Mio. EUR an KapESt und 1,8 Mio. EUR an SolZ sowie im Jahr 2009 etwa 16 Mio. EUR an KapESt und 880.000 EUR an SolZ erstattet. Diese Beträge wurden später von der A. N. V., der Rechtsnachfolgerin der N. N. V., aufgrund eines Haftungsbescheides zurückgezahlt.
Die G. Ltd. erzielte durch ihre Cum-Ex-Geschäfte im Jahr 2008 einen Gewinn von rund 17,2 Millionen EUR und 2009 einen Gewinn von etwa 8,5 Millionen EUR.
Unterschied: „Durch die Tat“ vs. „Für die Tat“ – Einziehungsarten nach § 73 StGB
Einziehung „durch die Tat“ (§ 73 Abs. 1 Alt. 1 StGB)
Hier ist Kausalität erforderlich: Der Vermögensvorteil muss unmittelbare Folge der Straftat sein. Beispiel: Umsatzsteuerkarusselle.
Einziehung „für die Tat“ (§ 73 Abs. 1 Alt. 2 StGB)
Diese Alternative erlaubt die Abschöpfung auch von Vorteilen, die im Vorfeld einer Straftat als „Tatlohn“ gezahlt wurden – etwa durch Refinanzierung bei Cum-Ex-Geschäften. Es reicht der tatsächliche Buchgeldzufluss.
Tatlohn bei Cum-Ex-Geschäften – Voraussetzungen der Einziehung
Was gilt als Tatlohn?
Tatlohn sind Zahlungen oder Vermögensvorteile, die als Gegenleistung für rechtswidriges Handeln gezahlt werden – auch ohne Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestands.
Was gilt nicht als Tatlohn?
Vermögensvorteile aus einem unabhängigen Rechtsgrund (z. B. Gehalt, Erbschaft) fallen nicht unter die Einziehung nach § 73 Abs. 1 Alt. 2 StGB.
Wer kann Tatlohn leisten – und wann ist Einziehung ausgeschlossen?
Tatlohn kann durch:
- natürliche Personen
- juristische Personen
- (teil-)rechtsfähige Personengesellschaften gewährt werden.
Keine Einziehung, wenn der Täter sich den Vorteil eigenmächtig verschafft hat, z. B. durch unerlaubte Selbstbedienung.
Vermögenstrennung und Dritteinziehung – Wichtig für Gesellschaftsbeteiligte
Ein Zufluss bei einer Kapitalgesellschaft führt nicht automatisch zu einem einziehungsfähigen Vorteil beim Anteilseigner. Es gilt das Vermögenstrennungsprinzip.
Ausnahme: Wird der Gewinn realisiert, etwa durch gewinnbringenden Verkauf der Anteile, ist Einziehung möglich (Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis).
Missbrauch des Gesellschaftsmantels: Wann das Vermögenstrennungsprinzip nicht greift
Die Trennung zwischen Täter- und Gesellschaftsvermögen entfällt, wenn:
- die Gesellschaft nur als formaler Mantel dient,
- Gewinne direkt an den Täter weitergeleitet werden.
In diesem Fall ist eine Einziehung beim Täter direkt möglich.
Beispiel aus dem Fall: Cum-Ex als „Double Dip“ – Tatlohn durch Anteilswertsteigerung
Der Angeklagte hatte über Gesellschaften Anteile an einer Fonds-Gesellschaft (G.) gehalten, die massiv von Cum-Ex-Gewinnen profitierte. Durch die Gewinne stieg der Wert seiner Anteile um 550 %.
Diese Wertsteigerung gilt als Tatlohn, auch wenn keine direkte Ausschüttung erfolgte – sie war Teil eines stillen Gewinnverteilungsplans unter den Tatbeteiligten.
Keine Gesamtschuld für alle Einziehungsbeteiligten
Eine Gesamtschuld besteht nur unter Beteiligten, die denselben Vermögensvorteil „durch die Tat“ erlangt haben. Wer lediglich „Tatlohn“ erhielt, kann separat in Anspruch genommen werden – selbst wenn andere bereits für den Steuerschaden haften (§§ 71, 44 AO).
Rechtliche Klarstellung durch das BGH-Urteil vom 18.09.2024 (1 StR 197/24)
Das BGH-Urteil macht deutlich:
- Die Einziehung kann auch bei wertsteigernden Tatlohnvereinbarungen erfolgen.
- Maßgeblich ist nicht nur formale Zuweisung, sondern die wirtschaftliche Realität (Beteiligung, Kontrolle, Verfügungsmacht).
- Auch bei nicht ausgeschütteten Gewinnen, die sich in Anteilspreisen spiegeln, kann Einziehung rechtmäßig sein.
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