Es geht nicht mehr so hemdsärmelig zu

Hunger, Blutvergießen und allein in Deutschland pro Jahr ein hoher Milliarden-Schaden für die Volkswirtschaft. Alles Folgen von Korruption, sagt Peter Eigen. Ihr hat der Ex-Weltbank-Manager den Kampf angesagt – und wird dafür weltweit geachtet und gefürchtet. Ein Gespräch überschmierende Firmen, bestechliche Beamte und einen persönlichen Sündenfall.

Herr Eigen, womit kann man Sie denn am besten ködern: Mit einer Flasche Wein oder indem man Sie für Ihr Saxofonspiel lobt?

Meine Kinder sagen immer: Eigen-Lob stimmt. Ich trinke gerne Wein, und ich spiele gerne Saxofon, aber das ist Privatvergnügen. Meine eigentliche Motivation, mich gegen Korruption zu engagieren, ist immateriell. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich mich durch Bezahlung davon abbringen lasse.

Gibt es denn manchmal Versuche, Sie zu bestechen?

Na ja, sehr direkt sind die nicht, weil man sich wahrscheinlich schon vorstellen kann, dass ich darauf nicht eingehen würde. Aber so indirekt gibt es natürlich schon Versuche, Transparency International zu beeinflussen. Manche interpretieren den Wunsch von Unternehmen, bei uns Mitglied zu werden, bereits als einen solchen Versuch, zum Beispiel bei Siemens.

Mit Siemens haben Sie sich ein faules Ei ins Nest gelegt.

Am Anfang war das anders: Die deutsche Sektion von Transparency International wurde ab 1998 von Siemens unterstützt. Das war eine große Hilfe, um die OECD-Konvention gegen Korruption international durchzusetzen. Als dann 2006 dieser große Siemensskandal aufkam, bei dem 300 Mitarbeiter des Konzerns jahrelang weltweit für Großaufträge Geschäftspartner, Behörden und Regierungen mit insgesamt bis zu 1,3 Milliarden Euro bestochen hatten, war es auch für Siemens klar, dass sie bei uns nicht Mitglied sein können.

Aber es gab bei Siemens doch schon vorher Bestechungsfälle?

Bei Transparency Deutschland gibt es die Vereinbarung, dass Unternehmen, die uns unterstützen, alles tun müssen, um die Korruption zu bekämpfen. Wenn trotzdem Korruption in den eigenen Reihen auftaucht – was in so großen Unternehmen kaum zu verhindern ist -, dann soll gemeinsam mit uns überlegt werden, was das Unternehmen tun muss, um solche Vorfälle künftig zu verhindern. Es stimmt, diese Verpflichtung hat Siemens schon 2004 nicht erfüllt. Schon zu der Zeit haben wir die Mitgliedschaft von Siemens ruhen lassen. Daraufhin hat Siemens immer wieder angefragt, ob die Suspendierung aufgehoben werden konnte, bis die großen Skandale ans Licht kamen.

Warum kooperieren Sie ausgerechnet mit denen, die im Fokus Ihrer Recherchen stehen?

Siemens hat uns damals in keiner Weise geschadet. Im Gegenteil, Siemens hat uns geholfen, andere große Industriekonzerne dazu zu bewegen, einen offenen Brief an Bundeskanzler Helmut Kohl zu unterschreiben, in dem sie die Regierung aufforderten, dass Deutschland sich an der OECD-Konvention gegen Korruption beteiligen muss. Was dann auch tatsächlich passierte.

Gibt es die Gefahr, dass Konzerne ein vordergründiges Engagement bei Transparency dazu nutzen, um von eigenen Verfehlungen abzulenken?

Ja, die Gefahr besteht natürlich. Es gibt Unternehmen, die vor allem in den Medien einen guten Eindruck machen wollen.

In großen Unternehmen sei Korruption kaum zu verhindern – das sagten Sie eben selbst. Warum ist das so?

Ich glaube, dass viele Unternehmen korrupt sind, weil sie denken, dass sie sich gegen die Korruption der Mitbewerber wehren müssen. Es gibt Firmen, die zwar viel lieber ohne Schmiergeld auskommen würden, aber Angst haben, dass die anderen bestechen und sie dann davon Nachteile haben.

Diese Sorge ist ja auch nicht von der Hand zu weisen.

Vor allem, wenn sich keiner traut, die anderen anzuzeigen. Unter den großen Unternehmen ist so eine Art Kameraderie entstanden, bei der kaum jemand sich gegen die Korruption der anderen wehrt. Es müssen sich also alle gleichzeitig verpflichten, auf Korruption zu verzichten. So wie mit der OECD-Konvention: Alle Industriestaaten sollten gleichzeitig ihren Exporteuren Korruption im Ausland verbieten. Und das haben sie getan.

So viel zur Theorie. Aber schmieren die Industrieländer jetzt tatsächlich weniger?

Na ja, in manchen Ländern wird Korruption immer noch nicht wirklich verfolgt, zum Beispiel in Japan. In Großbritannien gibt es auch gerade große Korruptionsfälle, gegen die niemand etwas unternimmt.

Mit welcher Begründung?

Die britische Regierung meint, es sei im Interesse der Wirtschaft und der Sicherheit des Landes richtig, Korruption britischer Unternehmen im Ausland nicht zu verfolgen.

Im aktuellen Index von Transparency International, einer Art Korruptions-Rangliste, liegt Deutschland wie schon in den Jahren zuvor auf dem 14. Platz. Warum bessern sich die Deutschen nicht?


Manche fragen mich, warum sich Deutschland angesichts der aktuellen Korruptionsfälle wie eben Siemens nicht verschlechtert hat. Aber Deutschland nimmt seine Verpflichtung tatsächlich wahr, Korruption zu verfolgen. Wir haben inzwischen über 100 Fälle vor den Gerichten, was sehr gut ist.

Was kann Deutschland von vorbildlichen Ländern wie Neuseeland, Singapur und Schweden lernen?

Es gibt in Deutschland noch klare Schwächen bei der Korruptionsbekämpfung. Staatsanwälte, die unabhängig wären, wären für Politiker, die zu Bestechung neigen, viel bedrohlicher. In Deutschland agieren die Staatsanwälte aber weisungsgebunden. Geradezu skandalös ist auch, dass Abgeordnetenbestechung bei uns straffrei ist. Dazu kommt, dass der Zugang der Medien zu behördlichen Informationen noch sehr schlecht geregelt ist.

Was ist denn international gerade besonders in Mode: finanzielle oder materielle Korruption?

Schwer zu sagen. Wahrscheinlich sind so richtig brutale Zahlungen auf Schweizer Bankkonten oder auf Konten in Liechtenstein nicht mehr so weit verbreitet. Weil inzwischen doch viele Unternehmen aus den Staaten im Norden – besonders auch aus Deutschland – eingesehen haben, dass das, was sie in den anderen Ländern angerichtet haben, sehr schädlich war. Ich glaube, es geht nicht mehr so hemdsärmelig zu wie früher.

Gibt es bei der Definition von Korruption eigentlich kulturelle Unterschiede?

Wir sagen: Korruption ist der Missbrauch von anvertrauter Gewalt zum persönlichen Nutzen. Wie das dann im Einzelnen bewertet wird, überlassen wir unseren Sektionen in den verschiedenen Ländern. Da kommen dann natürlich kulturelle Unterschiede zum Tragen. In Argentinien sprechen die Leute natürlich anders über Korruption als in Tansania oder in Indien.

In vielen Ländern sind Schmiergeldzahlungen von jeher an der Tagesordnung. Dagegen kommt man doch nicht an, oder?

Ich selbst hatte mit Transparency International eigentlich angefangen, weil ich die großen internationalen Korruptionsfälle untersuchen wollte. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Perversion von Wirtschaftspolitik, die durch diese „grand corruption“ zustande gebracht wird, die Hauptursache ist für die Armut in der Welt, für die Verelendung von Milliarden von Menschen, für die Umweltzerstörung, für Blutvergießen und für Klimaveränderungen. Aber dann habe ich festgestellt, dass die nationalen Sektionen, die wir gegründet haben, vor allem an den kleineren Fällen interessiert waren. In Kenia zum Beispiel haben unsere Leute gesagt: Ob unser Staatspräsident zehn Millionen Dollar mehr oder weniger auf dem Schweizer Konto hat, ist uns wurscht. Aber ob unsere Kinder nicht in die Schule dürfen oder ins Krankenhaus können, weil wir die Lehrer und die Krankenschwestern nicht bestechen können, das interessiert uns.

Sie haben früher als Volkswirt für die Weltbank in Lateinamerika und in Afrika gearbeitet. Was haben Sie da in Bezug auf Korruption erlebt?

In Kenia ist mir aufgefallen, wie sehr die Korruption die Politik dieser Länder verzerrt. Verwirklicht werden da oft gerade die schlechten Projekte – teure Großprojekte und nicht die kleineren Projekte, die viel umwelt- und sozialverträglicher sind.

Zum Beispiel?

Für eine Region in Kenia haben wir ein Wasserversorgungssystem geplant, das sich aus vielen kleinen, kostengünstigen Elementen zusammensetzte. Defekte Leitungen, bei denen viel Trinkwasser verloren ging, sollten repariert werden. Außerdem wollten wir Wassergebühren einführen, um zu verhindern, dass die wenigen reichen Menschen Trinkwasser für den Swimmingpool vergeuden. Stattdessen hat sich die Regierung auf Großprojekte wie Pipelines über hunderte Kilometer festgelegt. Es wurde sehr schnell klar, dass das mit Korruptionszahlungen von den Lieferanten aus dem Norden zu tun hatte.

Und wie hielt es die Weltbank mit der Korruption?

Es wurde geschmiert. Ich persönlich habe mich daran nicht beteiligt. Aber es war schon klar, dass viele Leute auch in unserem großen Weltbankbüro in Nairobi zu diesem Mittel gegriffen haben, wenn es zum Beispiel darum ging, dass Telefonleitungen schnell repariert werden mussten.

Vor kurzem hat Martin Walser in einem Interview gesagt, Korruption sei für deutsche Firmen gar nicht schlecht, weil sie sich auf diese Art Aufträge im umkämpften internationalen Markt erobern und so Arbeitsplätze sichern.


Das ist doch unglaublich, nicht?

Fürchten Sie nicht, dass solche Stimmen angesichts der Wirtschaftskrise lauter werden?

Man kann das natürlich nie ausschließen. Aber ich muss sagen, ich nehme fast das Gegenteil an.

Sie meinen, in Deutschland nehme die Korruption ab?

Die Strafverfolgung nimmt zu. Bei MAN wird beispielsweise gegen Mitarbeiter ermittelt, die einige Millionen Euro bezahlt haben sollen, um ihr Auslandsgeschäft anzukurbeln. Und weil das alles jetzt öffentlich wird, denken viele Leute, dass die Bestechung zunimmt. Aber das glaube ich nicht. Ich denke eher, dass man so etwas früher einfach als Normalität hingenommen hätte, heute aber nicht mehr.

Transparency International ist in der Vergangenheit immer wieder kritisiert worden, weil die Staaten, die einmal als korrupt gelten, diesen Ruf nur schwer wieder los werden. Aus diesem Grund haben 2003 zwei Transparency-Aussteiger sogar eine neue Organisation gegründet, Tiri, die das vermeiden will. Hat das Auswirkungen gehabt auf Transparency International?

Die Kritik, die von den betroffenen Staaten kommt, nehmen wir schon ernst. Das hat damit zu tun, dass unser Index nach einer bestimmten Methode aufgebaut wird, die man eigentlich genau erklären muss, um sicher zu stellen, dass Journalisten das Ergebnis unserer Untersuchungen nicht missverständlich verkürzen. Dann heißt es oft: „Dieses oder jenes Land ist das korrupteste Land der Welt, sagt Transparency International.“ Sagen wir nicht! Wir sagen, dass Meinungsforscher für uns Ergebnisse von Umfragen in den verschiedenen Ländern eingesammelt haben, wie Experten die Korruption bei Politikern und Beamten in einem Land wahrnehmen. Außerdem haben wir auch einen Bestechungszahlerindex, der die Korruptionsbereitschaft von Firmen aus Industrieländern misst. Dass zwei ehemalige Transparency-Mitarbeiter Tiri gegründet haben, liegt daran, dass diese beiden Persönlichkeiten Streit mit Peter Eigen hatten. Das ist eine völlige Banalität.

Es heißt, die beiden hätten unter Ihrem Führungsstil gelitten.

Ja, das kann sein. Ich finde meinen Führungsstil sehr gut. Aber andere eben nicht.

Sie gelten als autoritär. Stehen Sie dazu?

Ja, natürlich. Wenn Sie völlig allein so eine Organisation gründen und die ganze Welt überzeugen müssen, dann brauchen Sie Autorität.

Die ganze Welt – daran müssen Sie doch scheitern, oder?

Manchmal bin ich auch enttäuscht, aber im Grunde haben wir viel erreicht. Denken Sie daran, dass vor zehn Jahren in Deutschland die Korruption im Ausland noch erlaubt war und von Politikern verteidigt wurde. Da hat sich die Kultur doch stark verändert.

Gibt es Länder, in denen Sie besonders große Fortschritte sehen?

Botswana ist ein leuchtendes Beispiel in Afrika – ein Rohstoffland, das nicht dem Fluch des schnellen Geldes verfallen ist. Das Land ist bei der Korruption besser dran als Italien. Und Liberia und Sierra Leone sind Länder, die seit dem Ende ihrer Bürgerkriege die Bekämpfung der Korruption sehr ernst nehmen.

Hand aufs Herz, Herr Eigen: Haben Sie selbst nie Geld gegen Gefälligkeit getauscht?

Ich muss zugeben, dass ich einmal, das war 1963, in Lebensgefahr war und deshalb zu diesem Mittel greifen musste. Das war während eines Putsches in Ecuador, und ich saß in einem Taxi, das eine Straßensperre durchbrochen hatte und von Soldaten mit Maschinengewehren gestoppt wurde. Ich wollte auf einem Schiff anheuern, das wenige Stunden später abfahren sollte. Um nicht auf der Polizeistation zu landen und im Land bleiben zu müssen, habe ich in den Pass, den ich einem Soldaten zeigen musste, eine Zehn-Dollar-Note gelegt. Die hat er sich stillschweigend eingesteckt, und wir konnten weiterfahren.

Wir werden das veröffentlichen!

Kein Problem. Es ist nicht so, dass der Kampf gegen Korruption für mich wichtiger ist als alles andere. Wenn ich Verwandte aus dem Konzentrationslager durch Bestechung der Wärter hätte retten können, hätte ich das sofort gemacht.

Interview: Saphir Robert und Johannes Wendland

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