Der Fall Siemens alarmiert alle – Die deutsche Wirtschaft ist aufgeschreckt

Die deutsche Wirtschaft ist aufgeschreckt. Seitdem die Staatsanwaltschaft bei Siemens wegen eines Systems schwarzer Kassen im Geschäftsbereich Telekommunikation ermittelt, rückt das Thema Korruption ganz oben auf die Agenda der Unternehmen. Vor allem große Firmen wollen künftig ihre internen Verhaltensrichtlinien stärker kontrollieren. Dies zeigt der Handelsblatt Business-Monitor, eine Umfrage unter 782 deutschen Topmanagern im Auftrag des Handelsblatts und der Unternehmensberatung Droege & Comp.

Ein interner Kodex mit Richtlinien gilt als Mindeststandard in der Bekämpfung von Korruption. Doch längst nicht alle Firmen haben solche Grundsätze formuliert: 37 Prozent aller Befragten gaben an, in ihrem Unternehmen gebe es bisher keine Richtlinien, es sei auch keine Einführung geplant. Allerdings waren dies vor allem kleine Unternehmen mit 100 bis 499 Mitarbeitern.

Bei Firmen mit mehr Beschäftigten verfügt die deutliche Mehrheit über Kodexe. Solche Richtlinien sollten die Grundwerte und Leitlinien des Unternehmens festschreiben und klarstellen, welches Verhalten erwünscht und welches abgelehnt wird. Im besten Fall ist dort schon formuliert, welche Sanktionen Mitarbeitern bei Falschverhalten drohen. Interne Richtlinien halten 55 Prozent der befragten Entscheider für ein gutes bis sehr gutes Mittel zur Korruptionsbekämpfung.

Wirksam sind sie aber nur dann, wenn sie im Unternehmen verankert und kontrolliert werden. „Allein das Aufsetzen einer Richtlinie bringt nichts“, sagt Juan Rigall, Geschäftsführer von Droege & Comp. „Firmen müssen die Umsetzung viel stärker steuern.“ Typischerweise bekommen Mitarbeiter Verhaltensrichtlinien zu Beginn eines neuen Jobs ausgehändigt, doch danach gerät das Papier oft in Vergessenheit. Untersuchungen zeigen, dass kaum einem Mitarbeiter klar ist, was ein Kodex in der Praxis bedeutet. „Es fehlt an konsequenter Schulung“, sagt Rigall.

Dieser Mangel rückt meist erst dann ins Bewusstsein der Entscheider, wenn eklatante Fälle von Korruption auftauchen und öffentlich werden. Im Business-Monitor kündigten 54 Prozent der Entscheider aus Großunternehmen an, die Einhaltung der Standards nun intensiver prüfen zu wollen. Zu dieser Gruppe gehören Firmen ab 5 000 Mitarbeitern. Bei Unternehmen mit 500 bis 5 000 Beschäftigten kündigten 28 Prozent solche Pläne an.

Experten für Korruptionsbekämpfung spüren seit mehreren Wochen verstärkt Anfragen von Unternehmen, die ihr Anti-Korruptionsmanagement stärken wollen. „Wenn ein Fall wie Siemens auftaucht, geht schnell die Angst um, dass so etwas im eigenen Haus passiert“, sagt Birgit Galley, Direktorin des Instituts für Risk & Fraud Management an der privaten Steinbeis Hochschule in Berlin. Unternehmen sollten Ethikstandards immer wieder neu vermitteln und in klaren Worten sagen, was unerwünscht ist, empfiehlt Galley. Denn viele Mitarbeiter hätten wegen schwammiger Richtlinien kein Täterbewusstsein und handelten nach der Vorstellung: „Ich tue meinem Unternehmen etwas Gutes.“ Konsequentes Verfolgen von Korruptionsfällen und eine Bestrafung der Täter dient ebenso der Abschreckung.

Verhaltensstandards sind gut, aber wenig effektiv, wenn sich keine Personen im Unternehmen um deren Einhaltung kümmern. Große Konzerne haben deshalb spezielle Teams für die Korruptionsbekämpfung zusammengestellt oder bauen diese aus, wie es gerade Siemens macht. Nach Ansicht von Galley sollten „diese Stellen direkt beim Vorstand angesiedelt sein und Weisungsbefugnis haben.“

Der Erfolg in der Korruptionsbekämpfung steigt in den Firmen, wenn sie viele Tipps aus den Reihen der Mitarbeiter oder Geschäftspartner bekommen. Dies können Ombudsleute gewährleisten, das sind externe unabhängige Anwälte, die Hinweise entgegennehmen, mit den Hinweisgebern reden und deren Anonymität gewährleisten (siehe Interview).

Im Business-Monitor gaben 35 Prozent der Entscheider an, Ombudsleute seien ein gutes oder sehr gutes Mittel zur Korruptionsbekämpfung. Sie dienen ebenfalls der Abschreckung, sind aber mehr in Großunternehmen zu finden. Möglicherweise ein Fehler, wie Droege-Geschäftsführer Rigall meint. „Gerade exportorientierte Mittelständler sollten mehr Mut haben, solche Systeme zu nutzen.“ Als weniger geeignet für Korruptionsbekämpfung halten Topmanager schärfere gesetzliche Regeln.

Autor: Bert Fröndorff

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