Cum-Ex mal ohne Eröffnung des Hauptverfahrens – den Tatsachen sei Dank

Beschluss LG Wiesbaden 6. Große Strafkammer 6 KLs 1141 JS 23920/12

Sachverhalt laut Anklage

Laut der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiesbaden hat der Angeschuldigte C am 17.10.2023 im Rahmen einer Werbeaktion der N Beratungsgesellschaft GmbH von einem „Steuermodell“ erfahren, das gemeinsam mit der O plc entwickelt wurde. Dieses Modell basiert auf einer Wertpapierleihe, bei der festverzinsliche Wertpapiere übergeben wurden, während im Gegenzug deutsche Standardaktien als Sicherheiten erhalten wurden. Ziel des Modells war es, die „Nachsteuerrendite“ der Kunden zu optimieren, indem die unterschiedlichen Besteuerungen von Zins- und Dividendenerträgen ausgenutzt wurden. Zinserträge unterlagen vollständig der Körperschaftssteuer, während Dividendenerträge nur zu 5 % steuerpflichtig waren, was diesem Modell zugutekam.

Im Rahmen der Vereinbarungen über die Wertpapierleihe übertrug die G AG für mehrere Monate Wertpapiere an die O und erhielt als Sicherheit Aktien von inländischen börsennotierten Gesellschaften. Diese Wertpapiere waren nicht im Handelsbuch der G AG verbucht und lediglich als Beteiligungen gehalten.

Die Lieferungen der Wertpapiere und die Wertpapierleihe wurden so abgestimmt, dass die Sicherheiten meist rund 105 % des Marktpreises der verleihenen Wertpapiere zum Zeitpunkt der Transaktionen betrugen. Vereinbart war, dass die G AG am Ende der Leihfrist gleichwertige Wertpapiere an die O zurückgeben musste. Während der Haltedauer der Wertpapiere vereinnahmte die G AG die Dividenden aus den erhaltenen Aktien, während die O die Zinsen erzielte. Die erhofften Erträge sollten dabei im Einklang stehen; abweichende Werte sollten durch einen Wertausgleich reguliert werden. Jedoch überstiegen die Transaktionskosten die jeweiligen Gewinne, was dazu führte, dass die Geschäfte grundsätzlich als Verlustgeschäfte gelten müssen.

Nach der Vereinnahmung von Zinsen und Dividenden beendeten die G AG und die O das Leihgeschäft und tauschten die Wirtschaftsgüter zurück.

Die O AG erzielte in den entsprechenden Jahren Bruttodividenden von 8.085.000,31 € (2004), 40.002.200,65 € (2005) und 32.738.269,22 € (2006). In diesen Jahren behielten die ausschüttenden Aktiengesellschaften Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschläge in Höhe von insgesamt 1.617.000,03 € und 88.934,97 € (2004), 8.000.440,13 € und 440.024,18 € (2005) sowie 6.547.653,84 € und 360.120,94 € (2006) ein.

Ohne Berücksichtigung der steuerlichen Effekte führten die Geschäfte der G AG mit der O in den drei Geschäftsjahren zu einem wirtschaftlichen Verlust von insgesamt 2.893.101 €.

Um die bereits einbehaltenen Kapitalertragssteuern und Solidaritätszuschläge auf die sich festsetzende Körperschaftsteuer anrechnen zu lassen, wurden in den Jahren 2004 und 2005 Steuerbescheinigungen ausgestellt und den Körperschaftsteuererklärungen für 2004 bis 2006 beigefügt.

Ablehnung der Eröffnung – Entscheidungsgründe

Die Steuererklärungen für die Jahre 2005 und 2006 enthalten entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft keine falschen oder unvollständigen Angaben über steuerlich relevante Tatsachen.

Tatsachen sind steuerlich erheblich, wenn sie für die Ermittlung eines Besteuerungsgrunds notwendig sind oder die Finanzbehörde zur Intervention in einen Steueranspruch veranlassen können. Solche Tatsachen können sowohl ausdrücklich als auch durch konkludente Erklärung in amtlichen Steuerformularen dargelegt werden. Bei der Einreichung einer Steuererklärung im vorgeschriebenen Vordruck wird zum Ausdruck gebracht, dass der Steuerpflichtige alle wesentlichen Umstände vollständig erklärt hat.

Zweifelsfragen sind vollständig zu klären, um sicherzustellen, dass das Finanzamt die steuerlichen Tatbestände korrekt bewerten kann. Der Steuerpflichtige darf eine steuerlich vorteilhafte Gestaltung wählen, solange alle relevanten Tatsachen korrekt präsentiert werden, um eine ordnungsgemäße Steuerfestsetzung zu ermöglichen.

Die Angeschuldigten haben in ihren Steuererklärungen im Jahr 2004 Dividendeneinnahmen aus Wertpapierleihgeschäften angegeben und die entsprechenden Kapitalertragssteuern beantragt. Obwohl sie keine detaillierten Erklärungen über die vertraglichen Hintergründe der Wertpapierleihe abgaben, war dennoch ersichtlich, dass diese Transaktionen stattgefunden hatten und die Finanzbehörde die rechtlichen Auswirkungen prüfen konnte.

Im gesamten Verlauf wurde festgestellt, dass die Angeschuldigten ohne Hinterziehungsvorsatz handelten. Sie gingen von einer korrekten steuerlichen Handhabung aus und waren sich der vermeintlichen Unzulässigkeiten nicht bewusst. Der Nachweis eines Gehilfenvorsatzes gegenüber den Angeschuldigten E und D erscheint schwierig, da sie sich als weisungsgebundene Mitarbeiter darstellten, die von höheren Instanzen geleitet wurden.

Insgesamt ergab sich kein hinreichender Tatverdacht für eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO.

Zusammenfassung

Ob nun komplizierter Cum-Ex-Sachverhalt oder einfachste Geschäftsvorgänge im Verkauf, solange alle notwendigen Tatsachen dem Finanzamt erklärt werden, damit man sich dort eine eigene Meinung der steuerlichen Behandlung machen kann, kann keine Steuerhinterziehung vorliegen. Zumindest nicht der Vorsatz dazu. Das gilt für “Groß” und “Klein”.

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