Unternehmen werden wegen Bestechungsskandalen oder anderen Delikten von der US-Justiz gnadenlos zur Kasse gebeten. Davor müssen die verunsicherten Konzerne sich und ihr Image schützen. Doch guter Rat ist teuer.
Düsseldorf. Auf einer Firmenfeier der US-Kanzlei Debevoise & Plimpton hing eine große Karikatur an der Wand. Ein Plimpton-Anwalt bedient darauf eine Gelddruckmaschine. Und auf dieser Maschine steht: Siemens. Diese Geschichte wird in München gern erzählt, es könnte auch eine Legende sein.
Doch sie erzählt viel über das Verhältnis zwischen Siemens und seinen US-Ermittlern. Für Debevoise war der Auftrag, den Schmiergeldskandal in München aufzuarbeiten, das Referenzprojekt im deutschen Markt. Siemens dagegen hatte keine Wahl. Konzernchef Peter Löscher musste US-Juristen nehmen, deutsche hätten die US-Behörden nie akzeptiert.
Der Compliance-Hype in deutschen Konzernen wird vom amerikanischen Rechtsverständnis getrieben. Die US-Justiz sieht sich als globale Strafverfolgungsbehörde. Das zeigt sich eindrucksvoll in Bestechungsfällen, die nach dem Foreign Corruption Practise Act auch dann von den USA verfolgt werden, wenn sie gar nicht auf amerikanischem Boden stattfanden.
„Die Neigung des US-Justizministeriums, Firmen für Vergehen außerhalb der USA in den USA zur Verantwortung zu ziehen, wächst ständig weiter“, sagte Adam Siegel, Partner bei Anwaltkanzler Freshfield Bruckhaus Deringer. Heiner Hugger von der Kanzlei Clifford Chance drängt sich sogar der Eindruck auf, dass „die USA ihre strengen Compliance-Vorgaben gezielt und vornehmlich bei ausländischen Unternehmen anwenden“.
So verhängte das amerikanische Justizministerium 2010 wegen der Zahlung von Bestechungsgeldern außerhalb der USA Strafen von insgesamt 1,5 Milliarden Dollar vor allem gegen europäische Firmen. Das entspricht einer Versiebzehnfachung seit 2007.
Davor wollen sich deutsche Konzernchefs schützen. Die Parole heißt Rückzug von der US-Börse. Von ehemals 18 sind dort heute nur noch sechs Konzerne notiert. Offiziell heißt es: zu teuer. Inoffiziell bestätigen Manager, dass der Zugriff der amerikanischen Börsenaufsicht SEC immer heikler werde.
Schon einmal, vor fast zehn Jahren, drangsalierten die Amerikaner in ihrem Regulierungswahn Unternehmen in aller Welt. Nach den Bilanzskandalen um Enron und Worldcom beschloss das US-Parlament den Sarbanes Oxley Act (SOX). Dieser zwang alle in den USA börsennotierten Unternehmen zu noch nie da gewesenen internen Dokumentationen und Kontrollen. Ziel war es, Bilanzmanipulationen zu vermeiden. Ein gigantisches Beschäftigungsprogramm für IT-Firmen und Berater. „SOX war ein Bombengeschäft“, räumt ein Berater heute ein.
Die Erwartungen an das Geschäft mit der Compliance sind hoch. Der Wirtschaftsprüfer Ernst & Young etwa will die Zahl seiner Experten von 450 auf 1 200 in zehn Jahren aufstocken. Konkurrent Deloitte erwartet zweistellige Steigerungsraten, nennt aber keine Zahlen. Der Siemens-Auftrag über 349 Millionen Euro katapultierte Deloitte hierzulande immerhin in die Spitzenliga der Prüfergilde.
Anwälte verdienen an der Panik
Der Marktforscher Ponemon hat kürzlich ermittelt, dass große Konzerne im Schnitt für Compliance-IT jährlich 3,5 Millionen Dollar ausgeben. In der Finanzindustrie ist es wegen der Geldwäschegesetze noch teurer. Laut ACI Worldwide verschlingen Compliance-Projekte bei Banken mehr als die Hälfte des IT-Budgets.
Anwälte verdienen vor allem an der Panik, die sich in Führungsetagen breitmacht. Spektakuläre Fälle wie Siemens verunsichern andere Konzernchefs. „Sie sorgen sich, ob sie womöglich auch irgendwelche Leichen im Keller haben, die sie teuer zu stehen kommen könnten“, sagt Astrid Jatzkowski, vom renommierten Branchendienst Juve.
Auch Kartellwächter sind inzwischen ein unkalkulierbares Risiko. Seitdem Kronzeugen bußgeldfrei gestellt sind, platzt ein Kartell nach dem anderen. Jeder will auspacken, weil die Strafen bedrohliche Höhen erreichen. So forderte die EU anfangs 480 Millionen Euro von Thyssen-Krupp wegen des Aufzugkartells. Selbst Mittelständler wie der Kurzwarenhersteller Prym (290 Millionen Euro Umsatz) sollten 70 Millionen Euro Bußgeld zahlen.
Das Eintreiben von Bußgeldern als Geschäftsmodell haben auch Staatsanwälte entdeckt. Um langwierige und imageschädigende Prozesse zu vermeiden, lassen sich Unternehmen auf Kompromisse ein: Verfahrenseinstellung gegen Bußgeld. Besonders die Staatsanwaltschaft München lässt sich auf solche Deals ein und kassierte in den vergangenen Jahren so fast eine Milliarde Euro.
Da ist guter Rat teurer. Alle großen Anwaltskanzleien steigen in die Compliance-Beratung ein. Die meisten bieten gleich das Rundum-Sorglospaket: vom Kartell- über das IT-, Arbeits- und Steuerrecht bis zum Wirtschaftsrecht. Die Aussicht auf lukrative Geschäfte lockt Außenseiter. So bietet der TÜV Rheinland ein „ganzheitliches oder modulares Compliance-Assessment“ an, eine Checkliste, mit deren Hilfe Manager ihre Compliance-Systeme prüfen können.
Selbst wenn der Staatsanwalt schon vor der Tür steht, ist nicht alles verloren. Die Kanzlei Nörr hat eine kostenlose App gestartet. Down Raid Guide, heißt die süffisant, weil Ermittler gern im Morgengrauen auftauchen. Ein Knigge für unangenehme Besuche nebst Notruftelefon. „Coole App“, kommentiert ein anonymer Kunde. Er hofft, dass sie ihm einst „das Leben rettet“.
Autor: Dieter Fockenbrock
Mitarbeit: Rolf Benders, Axel Höpner, Katrin Terpitz
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