BGH, Beschluss vom 29.04.2025 – 1 StR 238/24 (LG München I): Gewerbesteuerhinterziehung durch falsche Angaben zum Ort der Betriebsstätte

Gewerbesteuerhinterziehung durch falsche Angaben zum Ort der Betriebsstätte

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 29.04.2025 (1 StR 238/24) präzisiert, unter welchen Voraussetzungen unrichtige Angaben zum Ort einer steuerlich erheblichen Tatsache eine Steuerhinterziehung im Steuerstrafrecht begründen können, wenn dadurch die Gewerbesteuer in einer Gemeinde mit niedrigerem Hebesatz festgesetzt wird, obwohl tatsächlich eine andere Gemeinde hebeberechtigt wäre. In der Praxis betrifft dies Konstellationen, in denen Unternehmen eine sogenannte „Gewerbesteueroase“ behaupten und damit die Zuständigkeit und Höhe der Gewerbesteuer in erheblichem Umfang beeinflussen.

Für die Strafverteidigung ist die Entscheidung besonders relevant, weil sie die Abgrenzung zwischen formalen Sitzangaben und der tatsächlichen Ermittlungsrealität schärft: Entscheidend ist nicht, welche Adresse „auf dem Papier“ geführt wird, sondern wo sich nach dem Gesamtbild der Verhältnisse der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet. Gerade bei modernen Arbeitsformen (Homeoffice, flexible Büroservices, Raumteilung) steigt das Risiko, dass ein steuerlicher Sachverhalt anders gewürdigt wird als erwartet.

Wer im Zusammenhang mit Gewerbesteuer, dem Vorwurf der Steuerhinterziehung oder Streit um den Ort der Betriebsstätte betroffen ist, kann eine frühzeitige Einbindung unserer Strafverteidiger und Fachanwälte für Strafrecht in Frankfurt – insbesondere in Verfahren des Wirtschaftsstrafrechts und des Steuerstrafrechts – erwägen.

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Worum ging es in dem Verfahren vor dem BGH?

Dem Beschluss lag ein komplexer Sachverhalt zugrunde, der u. a. an hohe Umsätze aus Vermittlungsgeschäften anknüpfte. Steuerstrafrechtlich zentral war schließlich die Frage, ob durch bewusst falsche Angaben gegenüber Finanzbehörden über den Ort der (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte eine zu niedrige Gewerbesteuer festgesetzt wurde. Der BGH bestätigt: Wird eine Gemeinde mit niedrigem Gewerbesteuerhebesatz als angeblich hebeberechtigt „installiert“, obwohl tatsächlich eine andere Gemeinde zuständig ist, kann dies eine Gewerbesteuerhinterziehung nach § 370 AO zulasten der tatsächlich hebeberechtigten Gemeinde darstellen.

Bemerkenswert ist außerdem, dass der BGH im selben Beschluss Teile des Verfahrens im Hinblick auf Einkommensteueraspekte nach § 154 StPO eingestellt hat, die Verurteilungen wegen der Gewerbesteuerverkürzung jedoch ausdrücklich Bestand hatten. Für die Verteidigungspraxis bedeutet das: Selbst wenn einzelne Komplexe (z. B. Zurechnungs- und Umwandlungsfragen) revisionsrechtlich „offen“ bleiben, kann der Gewerbesteuerkomplex eigenständig tragfähig sein, wenn die tatsächliche Leitungssituation hinreichend festgestellt ist.

Die juristische Kernfrage: Was ist eine „Betriebsstätte“ und wo liegt die Geschäftsleitung?

Ausgangspunkt ist der Betriebsstättenbegriff der Abgabenordnung. Eine Betriebsstätte ist jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient; als Betriebsstätte gilt insbesondere die Stätte der Geschäftsleitung. Die Geschäftsleitung ist der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung, also der Ort, an dem der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird. Praktisch kommt es darauf an, wo die für die Geschäftsführung wesentlichen Maßnahmen angeordnet werden und wo die zur Vertretung befugten Personen die laufenden, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen des Unternehmens tatsächlich vornehmen. Diese Abgrenzung hat auch einen „wissenschaftlichen“ Hintergrund im Sinne betriebsorganisatorischer Realität: Leitung wird als Bündel von Entscheidungs- und Koordinationshandlungen verstanden. In steuerstrafrechtlichen Verfahren wird daher häufig anhand objektivierbarer Indikatoren geprüft, wo Entscheidungen vorbereitet, getroffen und umgesetzt werden (Kommunikationswege, Dokumentenflüsse, Termin- und Verhandlungsorte, IT-Zugriffe, Personal- und Zahlungsfreigaben). Eine reine Postadresse oder ein selten genutzter Raum ohne tatsächliche Verfügungsmacht genügen typischerweise nicht, um eine tragfähige Verlagerung der Geschäftsleitung zu begründen.

Warum ist der Ort der Betriebsstätte steuerlich erheblich?

Für die Gewerbesteuer ist der Betriebsstättenort deshalb entscheidend, weil der Gewerbebetrieb in der Gemeinde der Betriebsstätte der Gewerbesteuer unterliegt und diese Gemeinde den Hebesatz festlegt. Der Hebesatz wirkt unmittelbar auf die Steuerlast. Nach den Feststellungen im entschiedenen Fall führte die falsche Verortung der Geschäftsleitung dazu, dass Vorauszahlungen in einer Gemeinde mit deutlich niedrigerem Hebesatz festgesetzt wurden, während die tatsächlich hebeberechtigte Gemeinde keine entsprechenden Vorauszahlungen festsetzen konnte.

  • Steuerlich erhebliche Tatsache: Der Ort der (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte beeinflusst die hebeberechtigte Gemeinde und damit die Steuerhöhe.
  • Taterfolg bei Vorauszahlungen: Auch eine zu niedrige Festsetzung von Gewerbesteuervorauszahlungen kann bereits eine eigenständige Verkürzung darstellen.
  • Kausalität: Es genügt, dass sich im späteren Erfolg gerade das Risiko realisiert, das durch unrichtige Angaben geschaffen wurde.
  • Kompensation: Aus Verteidigungssicht ist das Kompensationsverbot häufig mit zu prüfen, wenn Gegenrechnungen oder bereits geleistete Zahlungen diskutiert werden.
  • Ermittlungsfokus: Ermittlungen zielen regelmäßig auf tatsächliche Entscheidungsorte, nicht auf formale Registerangaben.

Was hat der BGH zur „Briefkasten“-Adresse und zum Roomsharing hervorgehoben?

Der BGH bestätigt die Würdigung, dass eine nur scheinbare Büroadresse keine ausreichende Betriebsstätte begründet, wenn es an einer auf Dauer angelegten Verwurzelung der Geschäftstätigkeit und an einer tatsächlichen Verfügungsmacht über die Räume fehlt. Im entschiedenen Sachverhalt waren die Räume faktisch nicht frei nutzbar (Terminbuchung, Nutzung durch zahlreiche Dritte), die Post wurde gesammelt und weitergeleitet, und die laufenden Geschäfte wurden tatsächlich von einem anderen Ort aus geführt. Damit lag aus Sicht des Gerichts weder eine echte Geschäftsleitungsbetriebsstätte noch eine hinreichende „dienende Funktion“ als sonstige Betriebsstätte vor.

Für die Praxis ist wichtig: Solche Feststellungen werden häufig über Unterlagen und Aussagen im Akteninhalt gewonnen, etwa über Mietverträge, Zugangsmöglichkeiten, Kalenderdaten, Zeugen, digitale Spuren sowie über den tatsächlichen Ort von Verhandlungen. Wer als Beschuldigter betroffen ist, sollte die verfahrensstrategische Bedeutung der frühzeitigen Akteneinsicht kennen, weil erst dadurch belastbare Einordnungen zu Beweisstand und Angriffspunkten möglich sind.

Wer mit Vorwürfen wegen Gewerbesteuerhinterziehung, einer behaupteten Gewerbesteueroase oder unrichtigen Angaben zur Geschäftsleitung konfrontiert ist, kann eine frühzeitige Einbindung unserer Strafverteidiger und Fachanwälte für Strafrecht in Frankfurt – mit besonderer Erfahrung im Wirtschaftsstrafrecht und bei Bedarf auch im Steuerstrafrecht – in Betracht ziehen.
Für eine diskrete Ersteinschätzung Ihrer Situation und die Entwicklung einer passgenauen Verteidigungsstrategie erreichen Sie uns unter 069 710 33 330 oder per E-Mail an kanzlei@dr-buchert.de.

Verteidigungsperspektive: Typische Prüfsteine im Steuerstrafverfahren
In Verfahren rund um Gewerbesteuer und Betriebsstätten kommt es aus Verteidigungssicht regelmäßig auf eine saubere Trennung zwischen steuerrechtlicher Qualifikation und strafrechtlichem Vorwurf an. Maßgeblich sind insbesondere Vorsatzfragen (Wissen um die tatsächliche Leitungssituation und deren steuerliche Bedeutung), die konkrete Kommunikationslage gegenüber Behörden sowie die Frage, ob und in welchem Umfang tatsächlich eine eigene Nutzungsmöglichkeit der behaupteten Räumlichkeiten bestand.
Hinzu treten verfahrensrechtliche Aspekte im Strafverfahren: Welche Informationen lagen der Finanzverwaltung vor, welche Mitteilungen gingen an die Gemeinde, wie wurde die Hebeberechtigung geprüft, und an welchem Punkt tritt der Taterfolg ein? Der BGH hebt hervor, dass bei Vorauszahlungen gerade die Nichtfestsetzung durch die tatsächlich hebeberechtigte Gemeinde den maßgeblichen Erfolg darstellen kann. Solche Details sind häufig entscheidend für die Verteidigungsansätze und für die Bewertung der Schadenshöhe in der Strafzumessung.

Kurzes FAQ zur BGH-Entscheidung

Kann schon eine falsche Angabe im Erfassungsbogen eine Steuerhinterziehung sein?
Ja. Wenn die Angabe zum Betriebsstättenort steuerlich erheblich ist und dadurch Gewerbesteuervorauszahlungen zu niedrig festgesetzt oder bei der zuständigen Gemeinde nicht festgesetzt werden, kann dies eine eigenständige Verkürzung nach § 370 AO begründen.

Reicht ein angemietetes Büro als Betriebsstätte aus?
Nicht automatisch. Entscheidend sind tatsächliche Nutzung, Verfügungsmacht und eine auf Dauer angelegte organisatorische Verwurzelung. Eine bloße Briefkastenadresse oder faktisch nicht nutzbare Roomsharing-Flächen können unzureichend sein.

Welche Rolle spielt die Akteneinsicht?
Die Akteneinsicht ist häufig zentral, weil erst der Akteninhalt zeigt, worauf Ermittlungsbehörden die Annahme der Geschäftsleitung stützen und welche Beweismittel tatsächlich belastbar sind.

Was bedeutet „hebeberechtigte Gemeinde“ praktisch?
Das ist die Gemeinde, in der nach Gewerbesteuerrecht die Betriebsstätte liegt und die daher den Hebesatz anwendet und die Gewerbesteuer erhebt. Der Hebesatz kann je nach Kommune stark variieren.
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