BGH, Beschl. v. 13.6.2023 − 1 StR 126/23 (LG Leipzig)
-Im Zweifel hat man Kinder und ist nicht in der Kirche-
Im Falle eines Angeklagten, der keine konkreten Aufzeichnungen über die tatsächlich gezahlten Löhne und Gehälter für schwarz beschäftigte Arbeitnehmer vorlegen kann, bleibt das Gericht oftmals auf wertende Überlegungen angewiesen, um ein strafbares Verhalten festzustellen. In einem solchen Fall kann die Bestimmung des Schuldumfangs im Wege der Schätzung erfolgen. Dieses Vorgehen ist in ähnlicher Weise auch bei anderen Vermögensdelikten anerkannt. Die Rechtsprechung hat dabei spezifische Grundsätze entwickelt, die es ermöglichen, die Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern in solchen Kontexten darzulegen, so etwa in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 25. Oktober 2017 (Az. 1 STR 339/16), sowie in weiteren relevanten Beschlüssen.
Wie die ständige Rechtsprechung betont, darf das Gericht in Fällen, in denen keine massiven Erkenntnisse vorliegen, die jedoch die Überzeugung eines strafbaren Verhaltens stützen, auf Schätzungen zurückgreifen. Hierbei gilt das Gebot, dass sich unüberwindbare Zweifel zugunsten des Angeklagten auswirken müssen. Das bedeutet, dass der Tatrichter, wenn er zu einer Schätzung gelangt, sicherstellen muss, dass alle unklaren Punkte das Urteil nicht zugunsten der Staatsanwaltschaft schwächen, sondern vielmehr positiv für den Angeklagten ausgelegt werden.
Im konkreten Fall war das Landgericht Leipzig der Auffassung, dass der Angeklagte aufgrund fehlender Aufzeichnungen über bei den Einzugsstellen nicht angemeldete Arbeitnehmer die Höhe der gezahlten Schwarzlöhne in zulässiger Weise anhand der Scheinrechnungssummen schätzen durfte. Dabei wurde angenommen, dass die gezahlten Nettolöhne etwa 90% der Scheinrechungssummen ausmachten. Diese Annahme wurde durch die Beweiswürdigung des LG gestützt, das feststellte, dass dieausgeführten Arbeiten nahezu ausschließlich Lohnarbeiten waren, wobei das Material von den Auftraggebern bereitgestellt wurde.
Die Hochrechnung auf das Bruttoarbeitsentgelt konnte nach der Rspr. des Senats aufgrund des Vorliegens vollumfänglich illegaler Beschäftigungsverhältnisse anhand des Eingangssteuersatzes der Lohnsteuerklasse VI (§ 39c EStG) erfolgen (vgl. BGH Beschl. v. 8.2.2011 –1 StR 651/10, BGHSt 56).
Die Berechnung der Beitragsanteile zur gesetzlichen Pflegeversicherung, wie sie vom Landgericht durchgeführt wurde, war hinsichtlich der Berücksichtigung des Beitragszuschlags für kinderlose Arbeitnehmer rechtlich fehlerhaft. Der spezifische Kontext, in dem dieser Fehler auftrat, betrifft die Abschnitte § 55 und § 58 des SGB XI, in der jeweils geltenden Fassung. Diese Regelungen definieren die Beitragssätze und deren Anwendung für die Pflegeversicherung.
Das LG hat bei seiner Berechnung angenommen, dass alle genannten Arbeitnehmer, deren Identität nicht bekannt ist, kinderlos sind und das 23. Lebensjahr bereits vollendet haben. Diese Annahme ist jedoch nicht ausreichend durch belastbare Beweise gestützt. In der Praxis wäre es erforderlich, dass das Gericht klare Anhaltspunkte für solche Tatsachen vorlegt, bevor es spezifische Zuschläge, wie den für kinderlose Arbeitnehmer, auf die Beiträge zur Pflegeversicherung anwendet.
In der rechtlichen Betrachtung ist der Zweifel stets zugunsten des Angeklagten auszulegen. Das bedeutet, dass das Gericht in Fällen, in denen es keine ausreichenden Beweise für eine Annahme gibt, von den günstigsten Umständen für den Angeklagten ausgehen muss. Diese Vorgehensweise ist ein grundlegendes Prinzip im Strafverfahren, das sicherstellen soll, dass keine unzulässigen oder vermeintlichen Annahmen zu einer ungerechten Belastung des Angeklagten führen.
Die Bewertung von personenbezogenen Beitragszuschlägen, wie dem Zuschlag für kinderlose Arbeitnehmer, erfordert besondere Sorgfalt. Im Fall unbekannter Arbeitnehmer ist eine generelle Unterstellung, dass diese in die Kategorie kinderlos fallen, nicht haltbar. Solche Zuschläge sollten daher nicht ohne fundierte Basis angewendet werden. Dies steht im Einklang mit den Überlegungen des LG, als es ähnliche Regelungen bezüglich der Kirchensteuer in Bezug auf Unbekanntheit ansah und dort eine differenzierte Betrachtung vornahm.
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