BGH-Beschluss vom 23.02.2024 – 5 StR 284/23: Einziehung bei nicht konkretisierbaren, verfahrensgegenständlichen Taten

Kurzüberblick
Der Bundesgerichtshof (Beschl. v. 23.02.2024 – 5 StR 284/23) stellt klar: Für die Einziehung kommt es nicht darauf an, ob einzelne Rechnungsbeträge exakt bestimmten Untreuetaten zugeordnet werden können. Maßgeblich ist, dass Vermögenswerte „durch“ die verfahrensgegenständlichen Taten erlangt wurden (§ 73 Abs. 1 StGB). Die erweiterte Einziehung nach § 73a StGB greift nur, wenn Erträge aus anderen Taten stammen. Zudem erlischt der staatliche Einziehungsanspruch (§ 73e Abs. 1 StGB) bei zivilrechtlichen Vergleichen nur insoweit, wie der Verletzte tatsächlich „das Erlangte oder dessen Wert“ erhält – ein bloßer (Teil-)Erlass darf nicht zulasten der Allgemeinheit gehen.

Kernaussagen des BGH

  • Zuordnung zu Einzeltaten nicht nötig: Es genügt, dass die Gelder „durch“ die verfahrensgegenständlichen Taten geflossen sind. Die erweiterte Einziehung (§ 73a StGB) ist hierfür nicht erforderlich.
  • § 73e Abs. 1 StGB restriktiv: Ein zivilrechtlicher Vergleich/Erlass lässt die strafrechtliche Einziehung nur in dem Umfang entfallen, in dem der Geschädigte tatsächlich kompensiert wird.
  • Doppelter Schutzzweck: Bei Tatbeständen mit Individual- und Universalrechtsgütern (etwa neben Untreue (§ 266 StGB) auch Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB) ist § 73e so auszulegen, dass der staatliche Abschöpfungsanspruch nur entfällt, soweit wirklich an den Verletzten geleistet wurde.

Sachverhalt in Kürze

Interne Werbedienstleistungen wurden über fingierte Presseberichte abgerechnet; Zahlungen flossen an Subunternehmer. Das LG ordnete Wertersatzeinziehung an; die Einziehungsbeteiligte wandte u. a. ein, Beträge seien nicht konkret zuordenbar und Forderungen der Geschädigten durch Vergleich erloschen. Der BGH hob auf: Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB ist einschlägig, § 73a StGB nicht. Außerdem ist zu prüfen, inwieweit der Vergleich tatsächlich Leistungen an den Verletzten erbrachte – nur dann erlischt die Einziehung in diesem Umfang.

Rechtliche Einordnung und Praxisfolgen

  • Einziehung „durch“ die Tat (§ 73 Abs. 1 StGB): Entscheidend ist der Kausalzusammenhang zur verfahrensgegenständlichen Tat – nicht die buchhalterische Einzelzuordnung. Einziehung / Vermögensabschöpfung umfasst nach dem Bruttoprinzip regelmäßig den Gesamtzufluss, nicht nur „Gewinne“.
  • Erweiterte Einziehung (§ 73a StGB): Nur wenn Vermögensvorteile aus anderen Taten stammen. Der bloße Nachweis, dass Einzelrechnungen nicht mehr rekonstruierbar sind, genügt nicht für § 73a.
  • Erlöschenstatbestand (§ 73e Abs. 1 StGB): Ein Vergleich mit (General-)Quittung sperrt die staatliche Einziehung nicht automatisch. Relevant ist, in welcher Höhe der Verletzte wirklich Geld oder Wertersatz erhalten hat. Ein reiner Erlass darf den Abschöpfungszweck nicht unterlaufen.
  • Kombinationsfälle (Untreue / § 299 StGB): Bei parallelen Delikten – etwa Untreue und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) – ist der doppelte Schutzzweck zu beachten. Das mindert das Risiko einer unzulässigen Doppelbelastung und sichert zugleich die Effektivität der Abschöpfung.
  • Verteidigungs- und Unternehmenspraxis:
    • Früh prüfen, ob die Zahlungsflüsse „durch“ die verfahrensgegenständlichen Taten belegt sind (Argument gegen § 73a).
    • Vergleichsunterlagen detailliert dokumentieren (Zahlungsquote, Zuordnung, Ausgleich der Gesamtschuldner), um Reichweite von § 73e Abs. 1 StGB belastbar zu bewerten.
    • Compliance/Procurement-Prozesse und Funktionstrennungen stärken, um Risiken aus Scheindokumentationen und Kick-back-Konstellationen (Bezug zu § 299 StGB) zu minimieren.

FAQ

Muss jeder Einziehungsbetrag einer konkreten Einzeltat zugeordnet werden?
Nein. Reicht der Nachweis, dass Gelder durch die verfahrensgegenständlichen Taten geflossen sind, ist die Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB möglich – ohne Rückgriff auf § 73a StGB.

Hebelt ein zivilrechtlicher Vergleich die Einziehung aus?
Nur teilweise: § 73e Abs. 1 StGB lässt den staatlichen Anspruch so weit entfallen, wie der Verletzte das Erlangte oder dessen Wert tatsächlich erhält. Ein bloßer Erlass „zu Lasten der Allgemeinheit“ genügt nicht.

Was gilt bei Kombination von Untreue und § 299 StGB?
Bei Delikten mit doppeltem Schutzzweck (Individual- und Allgemeininteresse) bleibt der staatliche Abschöpfungsanspruch bestehen, soweit keine echte Kompensation des Verletzten erfolgt ist. Siehe Untreue und Korruption / § 299 StGB.

Gilt noch das Bruttoprinzip?
Ja. Nach der ständigen Rechtsprechung wird regelmäßig der Gesamtzufluss abgeschöpft. Mehr dazu in Einziehung / Vermögensabschöpfung.

Siehe auch (weiterführend)


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