BFH-Urteil zum Verwertungsverbot bei Steuerverfahren

Hintergrund: Geschäftsleitung einer ausländischen Gesellschaft

In einem aktuellen Steuerverfahren war zwischen dem Finanzamt (FA) und einem Steuerpflichtigen umstritten, von wo aus die tatsächliche Geschäftsleitung einer Gesellschaft mit Sitz auf Zypern ausgeübt wurde. Das FA vermutete, dass sich die Geschäftsleitung tatsächlich in Deutschland befand und sah damit eine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland gegeben.

Sachverhalt: Sicherstellung und Nutzung einer Festplatte durch Finanzbehörden

Im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen wegen vermuteter Verstöße gegen das Wertpapierhandelsgesetz wurde eine Festplatte mit umfangreichen E-Mail-Korrespondenzen beschlagnahmt. Diese Festplatte wurde jedoch ohne vorherige Sichtung gemäß § 110 StPO durch die Staatsanwaltschaft (StA) unmittelbar an den zuständigen Prüfer des Finanzamts weitergegeben. Die E-Mails auf der Festplatte legten nahe, dass die tatsächliche Geschäftsleitung der Ltd. aus Deutschland erfolgte.

BFH-Entscheidung: Qualifiziertes Verwertungsverbot aus Datenschutzgründen

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass die Nutzung der auf der Festplatte gespeicherten Daten durch das Finanzamt einem qualifizierten steuerrechtlichen Verwertungsverbot unterliegt. Begründet wird dies mit einem erheblichen Eingriff in das Grundrecht der mittelbaren Anteilseigner auf informationelle Selbstbestimmung.

Bedingungen für die steuerliche Nutzung strafrechtlicher Erkenntnisse

Nach § 393 Abs. 3 Satz 1 AO dürfen Informationen, die aus strafrechtlichen Ermittlungen stammen, grundsätzlich für steuerliche Zwecke genutzt werden, sogar wenn sie zufällig im Rahmen von Ermittlungen wegen nicht steuerlicher Straftaten entdeckt wurden.

Fehlerhafte Weitergabe der Daten durch die Staatsanwaltschaft

Das qualifizierte Verwertungsverbot resultierte aus der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft es versäumt hatte, die auf der Festplatte gespeicherten Daten im Vorfeld zu überprüfen und steuerlich irrelevante Informationen auszusortieren. Dieser Verstoß führte zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Datenschutzrecht der Betroffenen.

Erweiterte Wirkung („Fernwirkung“) des Verwertungsverbots

Der BFH stellte zudem klar, dass dieses Verwertungsverbot nicht nur die ursprünglich unzulässigen Daten betrifft, sondern auch auf sämtliche Erkenntnisse und Folgeinformationen erweitert werden muss, die nur aufgrund der unrechtmäßig erlangten Daten gewonnen werden konnten („Fernwirkung“ des Verwertungsverbots).

Praktische Relevanz: Auswirkungen auf künftige steuerliche Ermittlungen

Diese Entscheidung entfaltet erhebliche praktische Konsequenzen. Finanzämter müssen zukünftig strenger prüfen, ob Daten, die ursprünglich im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen sichergestellt wurden, überhaupt steuerrechtlich verwendet werden dürfen. Insbesondere gilt dies, wenn eine vorherige Sichtung und Aussortierung steuerlich irrelevanter Daten nicht erfolgte.

Kritische Betrachtung: Widerspruch zur strafrechtlichen Rechtsprechung

In der rechtlichen Fachwelt stößt das Urteil auch auf Kritik. Insbesondere unterscheidet sich die Argumentation des BFH von der überwiegenden strafrechtlichen Rechtsprechung, welche Verstöße gegen § 110 StPO meist nicht automatisch mit einem Beweisverwertungsverbot sanktioniert. Der BFH betont jedoch ausdrücklich die Schwere der Verletzung datenschutzrechtlicher Prinzipien und weicht hier bewusst von der sonst üblichen strafrechtlichen Linie ab, ohne dabei explizit zwischen besonders geschützten Bereichen und allgemeinen Daten zu differenzieren.

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