Unternehmenssanktionierung § 30 OWiG und § 130 OWiG

Unternehmensgeldbuße & Aufsichtspflicht: §§ 30, 130 OWiG – Verteidigung, Compliance & Internal Investigations

Kurz erklärt

Deutschland kennt kein Unternehmensstrafrecht. Sanktionen gegen Unternehmen laufen über das Ordnungswidrigkeitenrecht:

  • § 30 OWiG: Verbandsgeldbuße bei Tat einer Leitungsperson als solche oder (versuchter) Bereicherung des Verbands.
  • § 130 OWiG: Aufsichtspflichtverletzung des Inhabers (Betrieb/Unternehmen/Konzern); Zuwiderhandlungen müssen bei gehöriger Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden sein.
    Beide Normen sind zentral für Unternehmensverteidigung, Compliance und Internal Investigations.

Kein Unternehmensstrafrecht – warum §§ 30, 130 OWiG so wichtig sind

Mangels eigenständigen Unternehmensstrafrechts tragen § 30 OWiG (Geldbußen gegen Verbände) und § 130 OWiG (Aufsichtspflichten) die Sanktionspraxis. Sie wirken repressiv (Ahndung/Abschöpfung) und präventiv (Anreiz für wirksame Compliance & interne Ermittlungen).


§ 30 OWiG – Voraussetzungen & Zurechnung

  • Adressaten: Juristische Personen & Personenvereinigungen (inkl. rechtsfähiger Personengesellschaften; teils öffentliche Unternehmen).
  • Zurechnung: Tat einer Leitungsperson (Organ, Vertreter, Bevollmächtigter, Prokurist, leitender HBV, faktischer Geschäftsführer, Aufsichtsorgan, ggf. externe Leitungs-/Kontrollperson) als solche, oder der Verband wurde (versucht) bereichert (Gewinn/ersparte Aufwendungen).
  • Betriebs-/Rollenbezug: Handeln muss im funktionalen Zusammenhang mit der Leitungsrolle stehen (nicht bloß „privat bei Gelegenheit“).

Geldbußenhöhe & Abschöpfung

  • Obergrenzen: bis 10 Mio. € (vorsätzliche Straftat) / 5 Mio. € (fahrlässige Straftat); bei OWi gilt das jeweilige Höchstmaß.
  • Abschöpfung: Der wirtschaftliche Vorteil wird zusätzlich abgeschöpft; nötigenfalls kann das gesetzliche Höchstmaß überschritten werden (§ 30 Abs. 3 i. V. m. § 17 Abs. 4 OWiG).
  • Sperrwirkung Einziehung: Wird nach § 30 Abs. 1 OWiG gebüßt, ist Einziehung desselben Tatertrags nach §§ 73, 73c StGB oder § 29a Abs. 2 OWiG ausgeschlossen (§ 30 Abs. 5 OWiG).
  • Register: Entscheidungen > 200 € werden im Gewerbezentralregister vermerkt.

§ 130 OWiG – Aufsichtspflichten des Inhabers

  • Täterkreis: Inhaber eines Betriebs/Unternehmens/Konzerns (Rechtsform egal). Inhaberschaft richtet sich nach der tatsächlichen Verantwortung; Delegation möglich, Letztaufsicht bleibt.
  • Tatbestand: Unterlassen gehöriger Aufsichtsmaßnahmen (vorsätzlich/fahrlässig); es liegt eine betriebsbezogene Zuwiderhandlung vor, die bei ordnungsgemäßer Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre.
  • Bußgeldrahmen: bis 1 Mio. € (§ 130 Abs. 3 S. 1 OWiG).

Aufsicht konkret (Praxis-Stufenmodell)

  1. Auswahl geeigneter Mitarbeiter/Aufsichtspersonen
  2. Organisation & klare Verantwortlichkeiten
  3. Instruktion/Schulung (laufend, rechtsänderungsbezogen)
  4. Überwachung/Kontrolle (risikobasiert, dokumentiert)
  5. Reaktion/Sanktionen bei Verstößen (arbeitsrechtlich sauber)
    Grenzen: Maßnahmen müssen rechtlich zulässig, zumutbar und verhältnismäßig sein; kein Totalüberwachungsgebot. Bei Vorbelastungen steigen die Anforderungen.

Verzahnung: § 130 als Anknüpfung zu § 30

Typisch ist: Mitarbeiter begeht eine Straftat/OWi → Aufsichtspflichtverletzung einer Leitungsperson/Inhaber nach § 130Zurechnung und Verbandsgeldbuße nach § 30 gegen den Unternehmensträger.


DSGVO-, Kartell- & Spezialfälle (Kurzüberblick)

  • DSGVO (Art. 83): Bußgelder können direkt gegen Unternehmen gehen (ohne Individualzurechnung nach §§ 30/130).
  • Kartell: Umsatzbezogene Bußen, Kronzeugenregelungen; Zuständigkeit bei Kartellbehörden.

Compliance, Internal Investigations & Verteidigung

  • BGH 1 StR 265/16 (Rn. 118): Umfang, Wirksamkeit und Optimierung eines Compliance-Management-Systems (CMS) wirken bußgeldmindernd.
  • Internal Investigations: Gehören heute zum Standard; HinSchG § 18 Nr. 1 nennt interne Untersuchungen ausdrücklich als Folgemaßnahme der Meldestelle (Whistleblowing).
  • Best Practice: Hinweisgeberkanal, Ombudsperson, klarer Untersuchungsleitfaden, Forensik, Remediation, Training & Kontrollen, dokumentierte Wirksamkeit.

Verteidigungsfahrplan (kurz)

  • Frühe Verteidigung/Koordination, Akteneinsicht, Beweissicherung
  • CMS-Nachweise & Aufsichtssystem darstellen (ex ante/ex post)
  • Vorteilsberechnung prüfen (Ahndungs- vs. Abschöpfungsanteil)
  • Kooperationsoptionen (z. B. Kartell) & Opportunität ausloten
  • Remediation (Regeln/Prozesse nachschärfen, Schulungen, Kontrollen)

FAQ: §§ 30/130 OWiG

Gilt § 30 nur bei identifizierten Tätern?
Nein. Es reicht, wenn mindestens eine Leitungsperson tatbestandsmäßig gehandelt hat; zudem greift die Bereicherungs-Alternative.

Kann Fehlverhalten „einfacher“ Mitarbeitender zu § 30 führen?
Ja, über § 130: fehlende/ungeeignete Aufsicht des Inhabers/Leitung belastet den Verband.

Wie hoch sind die Risiken finanziell?
Bis 10 Mio. € (Vorsatz) bzw. 5 Mio. € (Fahrlässigkeit) zzgl. Abschöpfung; § 130 bis 1 Mio. €. In Kartell/DSGVO können andere Rahmen gelten.

Was heißt „wesentlich erschwert“ in § 130?
Die gebotene Aufsicht hätte das Risiko deutlich reduziert; absoluter Schutz ist nicht nötig.

Kann zusätzlich noch Einziehung angeordnet werden?
Bei einer Geldbuße nach § 30 Abs. 1 ist die Einziehung desselben Tatertrags nach StGB/§ 29a OWiG gesperrt (§ 30 Abs. 5).

Bringt ein starkes CMS wirklich etwas?
Ja – der BGH betont, dass wirksame und optimierte Compliance bußgeldrelevant ist; Nachbesserungen im Verfahren können positiv wirken.

Sind Internal Investigations „nice to have“ oder Pflicht?
Sie sind essentiell und im HinSchG als mögliche Folgemaßnahme ausdrücklich erwähnt; sie belegen Aufklärungs- und Remediationswillen.

Hilft die Delegation von Aufsicht?
Delegation ist möglich, aber die Letztaufsicht verbleibt beim Inhaber; Auswahl-, Instruktions- und Überwachungspflichten bleiben.

Gilt das auch für Kanzleien, Ärzte, NPOs?
Ja – maßgeblich ist, ob ein Betrieb/Unternehmen i. S. d. Norm vorliegt; der Zweck (gemeinnützig o. ä.) ist nicht entscheidend.

Steht jede Entscheidung im Register?
Nur rechtskräftige Bußgeldentscheidungen über 200 €.


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