Schätzungen im Steuerstrafverfahren

Schätzungen im Steuerstrafverfahren: Maßstäbe, Methoden, Verteidigungsansätze

Kernunterschied zum Besteuerungsverfahren

Im Steuerstrafverfahren gelten andere Spielregeln als im Steuerverfahren. Grundlage ist die freie richterliche Beweiswürdigung nach § 261 StPO i. V. m. § 385 Abs. 1 AO – der Tatrichter muss sich also zur vollen Überzeugung ein Bild machen. Der Zweifelssatz (in dubio pro reo) wirkt stets zugunsten des Beschuldigten. Damit unterscheidet sich die Lage klar von § 162 AO: Mitwirkungsdefizite rechtfertigen keine strafprozessuale Schätzung und dürfen nicht zulasten des Beschuldigten verwertet werden. Dass Schätzungen im Strafverfahren möglich sind, ist anerkannt – zugleich ist der Strafrichter nicht an Behörden-Schätzungen gebunden und darf sie nur nach eigener Prüfung übernehmen.

Wann wird im Strafverfahren geschätzt?

Voraussetzung ist, dass ein Besteuerungstatbestand feststeht, die Höhe der Grundlagen aber nicht (mehr) aufklärbar ist. Dann darf der Tatrichter anerkannte steuerliche Schätzungsmethoden heranziehen (auch kombiniert) – jedoch strafprozessual angepasst (Zweifelssatz, keine Automatismen aus § 162 AO). Wird eine Finanzamts- oder Fahndungs-Schätzung aufgegriffen, muss das Gericht nachvollziehbar darlegen, wie diese unter Strafverfahrensmaßstäben geprüft und warum sie tragfähig ist.

Methoden & Grenzen der Schätzung

Zulässige Methoden. In der Praxis nutzten Gerichte u. a. branchentypische Richtsätze (z. B. Gastronomie, Rohgewinnaufschläge), Kassen- und Geldverkehrsanalysen oder Waren-/Sicherheitenbewertungen – immer bezogen auf den konkreten Betrieb. Bei belastbaren Indizien für eine überdurchschnittliche Ertragslage darf auch oberhalb des Mittelwerts geschätzt werden; umgekehrt sind Abschläge zu erwägen, wenn die Lage es gebietet.

Keine „blind“ übernommenen Zahlen. Reine Bezugnahmen auf Steuerbescheide oder Prüfberichte genügen im Strafverfahren nicht; das Urteil muss die Berechnungsgrundlagen so darstellen, dass das Revisionsgericht die Schätzung prüfen kann.

Sicherheitszuschläge. Klassische „Sicherheitszuschläge“ aus dem Steuerverfahren taugen strafprozessual nicht als pauschaler Puffer; maßgeblich ist die konkret begründete tatrichterliche Überzeugungsbildung – nötigenfalls mit sachlich begründeten Abschlägen. (In der Steuerrechtsprechung sind Zuschläge unter engen Voraussetzungen möglich; im Strafverfahren gelten aber die strengeren Beweismaßstäbe.)

Praxisbeispiele aus der Rechtsprechung (ausgewählt)

  • Gastronomie/Richtsätze: Schätzung anhand amtlicher Richtsätze (Rohgewinnaufschlag) kann zulässig sein, wenn sie betriebsindividuell begründet wird (Lage, Preisniveau, Konzept).

  • Darstellungspflicht im Urteil: Fehlt im Urteil eine nachvollziehbare Berechnungsdarstellung der hinterzogenen Steuer, liegt regelmäßig ein Darstellungsmangel vor – das Urteil ist in der Revision angreifbar.

  • Sondermärkte (z. B. Zigaretten): Auch wenn es keinen legalen Marktpreis der konkreten Ware gibt, darf der durchschnittliche Kleinverkaufspreis des unteren Segments als Anknüpfung dienen, um Hinterziehungsbeträge zu ermitteln – mit Begründung.

Verteidigung: So nutzen wir die Spielräume

  • Angriff auf die Methode: Ist die gewählte Schätzungsmethode im Einzelfall geeignet? Wurden Alternativen geprüft? Wurden Teilschätzungen einem Vollgriff vorgezogen?

  • Parametrisierung & Plausibilität: Stimmen Ansatzpunkte (Wareneinsatz, Richtsatzbandbreite, Auslastung, Standort, Sicherheiten- und Stichtagswerte)?

  • Zweifelssatz operationalisieren: Wo bleiben „unüberwindbare Zweifel“? Abschläge statt Zuschläge.

  • Urteilsangriff: Fehlt die Berechnungsdarstellung oder die eigene richterliche Prüfung, ist das im Revisionsangriff wertvoll.

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FAQ: Schätzungen im Steuerstrafverfahren

Ist eine Schätzung im Strafverfahren überhaupt erlaubt?
Ja. Der BGH akzeptiert strafprozessuale Schätzungen, wenn der Tatbestand feststeht, die Höhe aber nicht aufklärbar ist – mit freier Beweiswürdigung und ohne Automatismen aus § 162 AO.

Darf das Gericht einfach die Finanzamts-Schätzung übernehmen?
Nur nach eigener Prüfung und nachvollziehbarer Begründung im Urteil. Eine bloße Bezugnahme reicht nicht.

Sind „Sicherheitszuschläge“ zulässig?
Pauschale Zuschläge aus dem Steuerverfahren tragen strafprozessual regelmäßig nicht. Entscheidend sind konkrete Tatsachen und – wo nötig – korrekt begründete Abschläge.

Was passiert, wenn die Berechnung im Urteil fehlt?
Fehlt die Darstellung der Berechnung (Grundlagen, Schritte, Ergebnis), droht ein Darstellungsmangel – die Revision hat gute Karten.

Welche Methoden werden häufig genutzt?
Branchenspezifische Richtsätze, Kassen-/Geldverkehrsanalysen, Waren- und Sicherheitsbewertungen oder Vergleichsrechnungen – stets betriebsindividuell begründet.

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