Whistleblower handeln selten aus Rachsucht und Profitgier

EU-Whistleblower-Richtlinie: Praxistipps für Unternehmens-Entscheider (Teil 2)

Spektakuläre Enthüllungen aus Politik und Wirtschaft gehen auf das Konto von Whistleblowern. Sie lösten mit ihren Hinweisen Skandale aus – werden jedoch nur in den seltensten Fällen als Helden gefeiert. Im Gegenteil: Hinweisgeber sind vor allem für Kollegen und Vorgesetzte „Verräter in den eigenen Reihen, die von Profitgier und Rache getrieben sind“. Dies ist in der Realität selten der Fall – und selbst wenn dem doch einmal so ist, nützt die frühzeitige Kenntnis und Abhilfe von Verstößen dem Unternehmen.

In Teil 2 ihrer Blog-Serie räumen Nadine Jacobi und Dr. Rainer Buchert mit diesen Vorurteilen auf und erklären, warum Unternehmen ihre Mitarbeiter sogar dazu motivieren sollten, Hinweise intern zu melden.

(Zur besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text das generische Maskulinum. Gemeint sind immer alle Geschlechter.)

Es ist schon eine Krux: Einerseits empört sich die Gesellschaft zu Recht, wenn ein Unternehmen Gammelfleisch in Umlauf bringt oder mit Hilfe von Briefkastenfirmen in Panama Steuern hinterzieht. Strafen für die Verantwortlichen sehen alle Bevölkerungsschichten als gerechtfertigt an – na gut, für Uli Hoeneß galt dies nicht, aber das ist ja auch was anderes. Andererseits werden die Personen, die solche Straftaten von Unternehmen durch Hinweise aufdecken, gelinde gesagt weitaus „differenzierter“ betrachtet. Sie denken, dies waren Ausnahmen aus einer Zeit, die schon lange zurückliegt? Dann werden wir aktuell: Am 14. Juni 2021 wurde die Kündigung eines ehemaligen Apotheken-Angestellten bestätigt, der zuvor einen der größten Medizin-Skandale Deutschlands enthüllt hatte. Sein Chef, ein Apotheker, hatte 40.000 Kochsalzlösungen als angebliche Krebstherapien an tausende von Patienten verkauft und sitzt in Untersuchungshaft. Vor seinem Haftantritt hatte er dem Whistleblower noch fristlos gekündigt – angeblich, weil dieser sich in unrechtmäßiger Art und Weise Arzneimittel verbilligt über die Apotheke bestellt haben soll.

Noch ein Beispiel: Die Untersuchung des Wirecard-Skandals ergab, dass bereits seit 2008 Hinweise auf Bilanzierungsmängel bekannt waren. Viele Jahre wurde in dieser Sache nicht ermittelt, im Gegenteil: Die BaFin ging gegen Hinweisgeber und Journalisten sehr energisch vor. Inzwischen hat die Behörde zugegeben, bereits Ende 2019 Insiderinformationen auf Unregelmäßigkeiten bei Wirecard erhalten zu haben. Wie bei Cum-Ex wurden die Hinweise der Hinweisgeber jedoch nicht sofort aufgegriffen und konsequent aufgeklärt.

Hinweisgeber werden als „Denunzianten“ betrachtet

Noch immer herrscht in deutschen Unternehmen die Meinung vor: Man petzt nicht. “Denunziant“ oder „Nestbeschmutzer“ sind daher häufig benutzte Schmähungen für Hinweisgeber. Der Umstand, dass die meisten Hinweisgeber nach Weitergabe ihrer vertraulichen Informationen zumeist Repressalien unterschiedlichster Couleur ausgesetzt sind, sorgt daher für wenig Empörung – weder im Unternehmen noch in der Öffentlichkeit. Schutz wird nun erstmals die EU-Richtlinie bieten.

Dass Inhaber und Top-Manager nicht begeistert von enthüllten Straftaten ihrer Unternehmen sind, liegt auf der Hand. Aber auch Kollegen sind oftmals von den Hinweisgebern enttäuscht. Ihrer Auffassung nach verstoßen Hinweisgeber gegen den „Korpsgeist“. Der Zusammenhalt der Belegschaft innerhalb eines Unternehmens ist ja auch Teil von dessen Erfolgsrezept. Verankert ist das Gefühl der Zusammengehörigkeit in der niedergeschriebenen Unternehmenskultur, den internen Leitlinien und Werten. Der Begriff „Hinweisgeber“ kommt darin praktisch nie vor.

Gute Hinweise schützen vor harten Strafen

Dabei wären Unternehmen gut beraten, Hinweisgeber als das anzunehmen und wertzuschätzen, was sie der Bezeichnung nach auch sind: Menschen, die wertvolle Hinweise geben und das Unternehmen oftmals in die Lage versetzen, Missstände aufzudecken und abzustellen. Werden die Missstände nicht aufgedeckt und handelt es sich dabei um Verstöße gegen Gesetze, ist die Gefahr groß, dass sich zum Beispiel, Mittäter oder Kollegen an die Strafverfolgungsbehörden wenden, investigative Journalisten die Missstände aufdecken oder das Opfer oder Mitbewerber Anzeige erstatten. Was wir in unserer Praxis immer wieder erleben: Ein Mitarbeiter hat vielleicht durch Zufall einen Compliance Verstoß eines Kollegen oder Vorgesetzten mitbekommen und lange Zeit geschwiegen – aus vermeintlicher Loyalität. Bei einer der anstehenden Beförderungen wird er jedoch nicht berücksichtigt. Er fühlt sich übergangen und unfair behandelt. Oder aus betriebsbedingten Gründen muss er das Unternehmen verlassen. Der eben noch loyale Mitarbeiter kann dann zur tickenden Zeitbombe werden und sich in seiner Frustration direkt an die Presse oder Behörden wenden – wenn er keinen internen Kanal findet, wo er sich äußern kann. Die Folge: Saftige Strafen, persönliche Haftung von Personen aus dem Management und ein Schaden für die Reputation.

Profitgier und Rachsucht sind eher Ausnahme als Regel

Woher kommt also das miese Ansehen von Hinweisgebern? Häufig wird ihnen unterstellt, Unternehmen aus Profitgier und Geltungssucht an den Pranger stellen zu wollen – und das noch vollkommen unberechtigt. In unserer langjährigen Berufspraxis haben wir nur zweimal erlebt, dass Hinweisgeber nach einer Belohnung fragten. Anders wird dies in den Vereinigten Staaten gehandhabt: Die dortige Justizbehörde SEC macht bereits seit Jahren gute Erfahrungen damit, Whistleblowern zum Teil hohe Prämien zu zahlen, wenn sie Informationen über Wirtschaftskriminalität liefern und dazu beitragen, eine Verurteilung der Täter inklusive Strafzahlung herbeizuführen. Durch dieses Belohnungssystem wurden Fälle bekannt, die ansonsten wahrscheinlich nicht aufgedeckt worden wären – die Aussicht auf eine Prämienzahlung könnte einige Whistleblower aus der Deckung gelockt haben, nahm ihnen die Existenzangst. Denn Hinweisgeber müssen nach dem Bekanntwerden ihrer Offenlegung oftmals um ihren Job fürchten. In Deutschland sind wir jedoch noch ein gutes Stück von einer solchen Bonus- bzw. prozentualen Beteiligungsregelung an den Strafgeldern entfernt.

Handeln Hinweisgeber also eher aus Rachsucht? Wegen eines fiesen Chefs oder einer erneut ausgebliebenen Beförderung? Oder ist es der verlassene Ehepartner, der seinem Expartner durch Hinweise auf persönliches Fehlverhalten in Diensten seines Arbeitgebers schaden will?

So oder so: Am Ende spielt es keine Rolle, aus welchem Motiv ein Hinweisgeber gehandelt hat – entscheidend ist, ob sich der Inhalt des Hinweises als richtig erweist.

In vielen Fällen geht die Geschichte aber auch so: Wenn Kollegen mal einen Bleistift mitnehmen, wird der klassische Hinweisgeber nicht nervös. Anders sieht es aus, wenn es um einen relevanten Schaden für den Arbeitgeber geht oder das Vorgehen der Führungskraft wenig mit im Verhaltenskodex explizit genannten Leitlinien wie Integrität und Moral gemein hat. Das Schweigen darüber nagt am Gewissen des potentiellen Hinweisgebers. Vor allem, weil es niemanden gibt, mit dem er darüber sprechen kann. Der Partner zu Hause soll damit erst recht nicht belastet werden.

Wozu braucht es ein neues Gesetz?

„Na und“, sagen die Kritiker der EU-Whistleblower-Richtlinie: „Die Person kann ja mit dem Vorgesetzten darüber sprechen, mit einem Kollegen aus der Compliance- oder Rechtsabteilung, dem Personalchef, der Internen Revision, dem Betriebsrat…“ Und natürlich geschieht das in der Praxis auch. Aber oftmals scheuen Hinweisgeber ein solches Gespräch, weil sie nur einen Verdacht oder eine Vermutung haben. Zu groß scheint ihnen das Risiko, kritisiert zu werden, Repressalien zu erleben oder gar eine Straftat zu begehen, weil sie Gefahr laufen, Vorwürfe vorzubringen, die sich später als unberechtigt erweisen. Hinzu kommt die preußisch geprägte Mentalität in Deutschland – Loyalität, Pflichtbewusstsein und Zusammenhalt spielen noch immer eine große Rolle. Oder der Vorgesetzte ist gar selbst ist in die Unregelmäßigkeiten involviert. Dann braucht der Hinweisgeber eine Alternative, wohin er sich wenden kann.

Spontaner Entschluss sorgte für Entdeckung des Gammelfleisch-Skandals

In nahezu allen Fällen überlegen Hinweisgeber deshalb sehr lange, bevor sie einen Sachverhalt melden. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen. Wie im Fall von Miroslaw Ryszard Strecker. Der Lkw-Fahrer beobachtete im August 2007, dass von ihm ausgeliefertes minderwertiges Fleisch sofort nach der Anlieferung von einem Fleischhändler umetikettiert und zum Lebensmittel deklariert wurde. Noch auf dem Heimweg rief er die Telefonnummer 110 und erzählte, was er gesehen hatte. Am Ende stellten die Behörden fest, dass der Fleischhändler insgesamt 150 Tonnen Gammelfleisch an Dönerproduzenten in Berlin verkauft hatte. Miroslaw Ryszard Strecker verlor übrigens deswegen seinen Job und fand jahrelang keine Anstellung mehr…

Warum der Schutz der Identität eine große Rolle spielt

Von solchen spektakulären und offensichtlichen Verbrechen abgesehen handelt es sich bei den klassischen Meldungen von Hinweisgebern fast nie um einen spontanen Impuls. Vielmehr erlebt ein Hinweisgeber viele schlaflose Nächte, bevor er sich entscheidet, die Informationen weiterzugeben. Diese Hemmschwelle wird deutlich kleiner, wenn Hinweisgeber einen Hinweis in einer vertraulichen Atmosphäre weitergeben können und wissen, dass ihre Identität geschützt ist. Zum Beispiel mithilfe eines speziell dafür eingerichteten Hinweisgebersystems. Aber können Unternehmen Interesse daran haben? Wir meinen: Ein sehr großes!

Interner Hinweis ermöglicht Sachverhaltsaufklärung ohne Polizei und Behörde

Der Grund: Unternehmen erhalten über Hinweisgebersysteme Informationen über Unregelmäßigkeiten und den Verdacht auf Straftaten, die sie sonst nicht bekommen hätten. Unsere beruflichen Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte zeigen dies ganz eindeutig: Bis zu 80% der Hinweise wären nie an das Unternehmen gelangt, wenn es ein solches Meldesystem nicht gegeben hätte. Nur ein kleiner Prozentsatz der Hinweisgeber sagen, dass sie den Hinweis eventuell auch offen im Unternehmen kommuniziert hätten.

Jetzt könnten Sie natürlich sagen: „Na und? Dann habe ich vielleicht auch ganz viele Probleme nicht, muss mich nicht mit Sachverhaltsaufklärung und möglichen Sanktionen rumschlagen und kann mich einfach auf mein Geschäft konzentrieren.“ Aber ganz so einfach ist es leider nicht. Denn Hinweisgeber reiben sich an dem „Gesehenen“, denn es ist nicht mit ihrem eigenem Wertesystem und/oder dem im Verhaltenskodex des Unternehmens niedergeschriebenen Wertsystem vereinbar. Und so ist die Gefahr groß, dass sich Hinweisgeber an Externe wenden, zum Beispiel an den investigativen Journalisten, eine Aufsichtsbehörde oder den Staatsanwalt – wohl wissend, dass sie hier den Schutz bekommen, den sie suchen.

In der EU-Whistleblower-Richtlinie (EU) 2019/ 1937) ist es Hinweisgebern freigestellt, ob sie sich zuerst an das Unternehmen oder direkt an eine staatliche Behörde wenden. Unternehmen sollten stark daran interessiert sein, der erste Adressat von Hinweisen zu sein. Dadurch ist es möglich, aus einer Position der Stärke Hinweise zu verifizieren, Missstände aufzudecken und die notwendigen Korrekturen vorzunehmen. Denn dann bleibt das Unternehmen, neudeutsch formuliert, im „driver seat“ – ohne den Druck einer Ermittlung durch Justizbehörde oder Polizei und einer womöglich drohenden Strafe. Schließlich gibt es grundsätzlich keine gesetzliche Verpflichtung für Unternehmen, intern entdeckte Straftaten zur Anzeige zu bringen – abgesehen von wenigen Ausnahmen, zum Beispiel bei Gefahr eines terroristischen Anschlags. Darüber hinaus gibt es bei einigen Unternehmen interne Richtlinien, die bei bestimmten Verstößen eine Pflicht zur Selbstanzeige enthalten. Auch aus taktischen juristischen Gründen kann die Selbstanzeige im Einzelfall Sinn ergeben. Dies sollte zuvor aber sorgfältig geprüft werden.

Außerdem sollten Unternehmensverantwortliche nicht vergessen: Nach Regeln des Aktienrechts, die ebenso für Geschäftsführer einer GmbH und andere Unternehmer gelten, sind sie verpflichtet, alle Informationen für sich nutzbar zu machen, die für ihr Unternehmen ein relevantes Risiko darstellen könnten.

Folgen Sie unserem Blog und erfahren Sie, welche Arten von Hinweisgebersystemen es gibt: Anhand einer Gegenüberstellung der jeweiligen Vor- und Nachteile geben wir Ihnen Orientierungshilfe, welches zu Ihrem Unternehmen passt. An dieser Stelle! In zwei Wochen!

Autor

Nadine Jacobi und Dr. Rainer Buchert,

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