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Kommentar zur "Beschneidungsdebatte": - Grenzen wahren

Hinweis: Der Beitrag musste aus redaktionellen Gründen gekürzt werden. Die Vollversion finden Sie unter www.dr-buchert.de.

Die Beschneidungsdebatte hat ein neues Stadium erreicht. Ende September veröffentlichte das Bundesjustizministerium einen Gesetzesentwurf (§ 1631d BGB), der die Beschneidung unter bestimmten Voraussetzungen straffrei stellt. Der Vorschlag bietet eine gute Grundlage für eine weitere Debatte, keinesfalls ist er aber deren Lösung.

Neuregelung im Personensorgerecht
Für Ärzte gehört die Verletzung körperlicher Integrität aus formaljuristischer Sicht zum Alltag. Jeder Nadelstich erfüllt für sich genommen den Tatbestand der Körperverletzung. Dass eine strafrechtliche Verfolgung unterbleibt, liegt an der rechtfertigenden Einwilligung des Patienten. Diese wird im Falle von Beschneidungen bei Jungen freilich nicht vom Kind selbst, sondern stellvertretend von den Eltern als Sorgerechtsinhaber erteilt. Es stellt sich also die Frage, ob Eltern wirklich darin einwilligen können, dass an ihrem Kind ohne medizinische Notwendigkeit ein erheblicher und irreparabler Eingriff vorgenommen wird. Für die vielfach ins Feld geführte Religionsfreiheit bleibt an dieser Stelle kein Raum. Denn kein Freiheitsrecht gestattet einen Eingriff in den Körper eines anderen Menschen! Das mögliche(!) Einwilligungsrecht der Eltern fußt nicht auf der Religionsfreiheit, sondern kann – wenn überhaupt – nur Ausfluss des elterlichen Sorgerechts sein. Insofern ist es zunächst richtig, dass der Gesetzgeber die Neuregelung in das Personensorgerecht des Bürgerlichen Gesetzesbuches (BGB) aufnehmen will und konsequenterweise auch nicht auf religiös motivierte Beschnei- dungen beschränkt.

Damit sind die Probleme aber nicht gelöst. Als Recht zur Erziehung erlaubt das elterliche Recht zur Sorge notwendigerweise Grundrechte von Kindern einzuschränken. Aber das Sorgerecht der Eltern ist im Gegensatz zur Religionsfreiheit kein Freiheitsrecht. Das Elternrecht ist vielmehr das Recht, im Interesse des Kindes zu handeln. Entsprechend wird man dieses Recht vielmehr als Pflicht denn als Recht begreifen müssen. Hier ist die natürliche Grenze also das Wohl des Kindes. Über die Einhaltung dieser Grenze "wacht" die staatliche Gemeinschaft, wie Art. 6 Abs. 2 GG es formuliert. Allein an den Maßstäben des Grundgesetzes sind folglich Rechte und Pflichten zu bestimmen.

Beschneidungen nur "nach den Regeln der ärztlichen Kunst"
Die Entfernung der Vorhaut stellt nicht nur einen schmerzhaften, sondern auch schweren operativen Eingriff dar. Beschneidungen dürfen daher - wenn überhaupt - nur von entsprechend ausgebildetem, medizinischem Fachpersonal durchgeführt werden. Zudem muss eine ausreichende Anästhesie der Kinder gewährleistet sein, damit man überhaupt von einem Handeln zum Wohl des Kindes sprechen kann. Dieser zwingenden grundgesetzlichen Vorgabe versucht der Gesetzesentwurf dahingehend gerecht zu werden, dass Beschneidungen "nach den Regeln der ärztlichen Kunst" zu erfolgen haben Dies mag überzeugend klingen, bleibt aber bei näherer Betrachtung eine schwer umsetzbare Diktion, die auch beteiligte Mediziner vor Probleme stellen wird. Denn die Probleme lauern bei der praktischen Umsetzbarkeit.

Selbst wenn es die Ärzteschaft hierzulande sicherstellen kann, eine entsprechende Anästhesie zu gewährleisten, bleibt es ein nicht ungefährlicher Eingriff. Laut einer wissenschaftlichen Studie sind in den medizinisch hoch entwickelten Vereinigten Staaten von Amerika jährlich sogar rund hundert Todesfälle infolge von Beschneidungen zu verzeichnen. Zusätzlich muss wegen der vorangegangen Übereinkunft aller Beteiligten von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgegangen werden.

Gegen diese Sichtweise wird regelmäßig angeführt, dass laut einer Stellungnahme der Amerikanischen Akademie der Kinderärzte (AAP) die gesundheitlichen Vorteile einer Beschneidung schwerer wiegen, als deren Risiken. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfs nimmt auf diese Äußerung unmittelbar Bezug. In der Tat ist zuzugestehen, dass im Falle der Richtigkeit dieser Aussage eine wissenschaftliche "Pattsituation" bestünde. Der Gesetzgeber müsste dann akzeptieren, dass sich Eltern für eine Beschneidung ihres Kindes entscheiden. Was die Ministeriumsmitarbeiter jedoch in ihrem Entwurf unterschlagen: Die AAP ist mittlerweile die einzige westliche Fachorganisation, die noch gesundheitliche Vorteile der Vorhautbeschneidung sieht. Auch der deutsche Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) steht der Auffassung der amerikanischen Kollegen äußerst kritisch gegenüber und läuft Sturm gegen das geplante Gesetzesvorhaben. Daneben sieht sich die AAP mit dem Vorwurf konfrontiert, ökonomische Interessen verteidigen zu wollen. Schließlich ist die Durchführung von Vorhautbeschneidungen in den USA ein Milliardengeschäft. In keinem Fall ist die singuläre These einer Organisation in den USA jedenfalls geeignet, die nachgewiesenen Risiken einer medizinisch nicht indizierten Vorhautentfernung auszugleichen.

Die im Gesetzesentwurf vorgenommene Einschränkung, dass eine Einwilligung unzulässig sei, "wenn durch die Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet wird", entpuppt sich bei näherer Betrachtung als wenig effektiv. Aber immerhin: Der Gesetzgeber hat hier ein Einfallstor geschaffen, bei entsprechenden Anhaltspunkten eine Einwilligung zu versagen. Für die behandelnden Ärzte bedeutet dies, die Risiken eines solchen Eingriffs genau zu prüfen, um festzustellen, ob eine Einwilligung unbeachtlich ist. Daneben wird die Frage zu beantworten sein, inwieweit ein Arzt rechtlich verpflichtet ist, nicht nur die Eltern über mögliche Risiken und Folgen des Eingriffs aufzuklären, sondern eben auch das Kind bzw. den Jugendlichen selbst.

Auch Nichtärzte dürfen Beschneidungen vornehmen
Aus juristischer Sicht gänzlich unverständlich ist die im Gesetzesentwurf vorgesehen Ausnahme, dass in den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes nicht nur Ärzte eine Zirkumzision durchführen dürfen, sondern auch Personen, die dafür besonders ausgebildet und vergleichbar befähigt sind. Der Gesetzgeber möchte hierdurch offensichtlich die Belange der jüdischen Bevölkerungsteile berücksichtigen und gestattet Beschneidungen damit auch durch den jüdischen Mohel. Selbst wenn man ansonsten die Vornahme von Beschneidungen als zulässig ansehen möchte, so findet dies seine absolute Grenze, wenn dies nicht unter den erforderlichen Bedingungen und von qualifizierten Ärzten vorgenommen wird. Dabei geht es nicht nur um die Vornahme des Eingriffs selbst, den viele religiöse Beschneider durch die alltägliche Übung mit Sicherheit gut beherrschen. Es geht auch darum, Komplikationen erkennen und darauf entsprechend reagieren zu können. Auch wird die dem Gesetzgeber durchaus wichtige ärztliche Aufklärungspflicht durch die Ausnahmeregelung ausgehöhlt.

Juristische Lösung nicht in Sicht
Der Gesetzesentwurf lässt somit viele Fragen offen und wird Juristen wie Mediziner weiterhin beschäftigen. Die ministerialen Fachleute sind daran aber nur begrenzt schuld. Denn die ihnen angetragene Aufgabe scheint nicht lösbar. Aus juristischer Sicht ist die religiöse Beschneidung in der Bundesrepublik Deutschland nicht zu legitimieren. Der Gesetzgeber kann nur innerhalb der Schranken des Grundgesetzes tätig werden. Verlässt er diese Grenzen, verstößt das Gesetz gegen die Verfassung und kann vom Bundesverfassungsgericht als nichtig erklärt werden. Trotzdem wird eine entsprechende gesetzliche Regelung kommen. Und wenn man ehrlich ist, bleibt den Verantwortlichen in Berlin auch kaum eine andere Wahl. Das deutsche Volk hat wegen seiner Vergangenheit die Pflicht, Belange der jüdischen Minderheit in besonderem Maße zu würdigen. Der für viele Juden konstitutive Brauch der Beschneidung ist ein derartiger Belang. Es geht daher allein um die Frage, ob man bereit ist, aufgrund der besonderen Gegebenheiten eine Ausnahmeregelung zu statuieren und – falls ja – mit welcher Reichweite. Diese Frage verlangt einen gesellschaftlichen Diskurs unter Berücksichtigung der Wertungen des Grundgesetzes und keine politischen Schnellschüsse. Man wird erwarten können, dass diese Debatte ergebnissoffen geführt wird und alle Beteiligten – auch die Vertreter der Glaubensgemeinschaften – die eigene Position verantwortungsvoll überdenken und bessere Lösungen jenseits unzulässiger Gesetzesvorhaben suchen – zum Wohl der Kinder.

von Christoph Buchert

Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorrand am Lehrstuhl von Prof. Dr. Volker Erb, Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht, Universität Mainz und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kanzlei Dr. Buchert Rechtsanwälte; Kontakt: christoph.buchert@uni-mainz.de

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