Vorschaubild Seite 1 - Newsletter Medizinstrafrecht 2011
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Themenschwerpunkt: Ärzteschaft als Einfallstor für Betrug und Korruption

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser

noch vor wenigen Jahren war Medizinstrafrecht ein exotisches Fach ohne besondere Relevanz. Seine Problemfelder waren – auch für Mediziner – überschaubar. Mit weiterem medizinischen Fortschritt, der zunehmenden Verrechtlichung der Medizin, erhöhten Dokumentationspflichten und verstärktem interdisziplinären Zusammenwirken hat sich das vor dem Hintergrund wachsender Verteilungskämpfe geändert.

Aktuell beherrschen Abrechnungsbetrug und Korruptionsvorwürfe gegen Ärzte, Apotheker und medizinisches Personal die Schlagzeilen – leider vielfach zu recht. Ebenso aktuell ist die zur höchstrichterlichen Entscheidung anstehende Frage, ob Kassenärzte Beauftragte der Kassen sind. Dies hätte zur Folge, dass sie sich wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr strafbar machen können. Mit Spannung darf erwartet werden, wie der Bundesgerichtshof entscheiden wird. Ähnlich wie im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist die Tendenz erkennbar, dass auch im Medizinstrafrecht Strafgesetze verschärft und die Strafbarkeit ausgeweitet wird. Eine Entwicklung, der man mit gemischten Gefühlen entgegensehen muss. Einerseits ist unbestritten, dass der vorsätzlichen Schädigung unseres Gesundheitssystems Einhalt geboten werden muss. Anderseits sollte Strafrecht das bleiben, was es immer war. Ultima ratio.

Ihr
Dr. Rainer Buchert

BGH entscheidet über die Strafbarkeit von bestechlichen Kassenärzten

Nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch statistisch nehmen Betrugs- und Korruptionsdelikte im Medizinbereich zu. Nach Schätzung von Experten gehen unserem Gesundheitssystem dadurch jährlich bis zu 18 Milliarden Euro verloren. Genau weiß das niemand – die Dunkelziffer ist hoch. Ein Einfallstor ist dabei die Ärzteschaft, denn besonders auf diese Berufsgruppe konzentrieren sich die kreativen Marketingmaßnahmen der Pharmaindustrie.

Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht kleinere und größere Skandale in der Medienlandschaft auftauchen, in die Ärzte, Apotheker oder anderes medizinisches Personal involviert ist. Immer wieder ermitteln Staatsanwaltschaften wegen "gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs", meist Abrechnungsbetrug in großem Stil. So etwa im letzten Jahr gegen die DRK-Klinik in Berlin-Wedding, wo angeblich Chefarztbehandlungen von Assistenzärzten erbracht und überflüssige Doppeluntersuchungen veranlasst worden sind. So auch mehrfach in diesem Jahr, wo Ärzte sich z. B. durch "Beraterverträge" veranlassen ließen, gegen Bares bestimmte Medikamente eines Herstellers zu verordnen, was aufgrund der höheren Preise die Kassen schädigte. Falsche Rezepte, falsche Abrechnungen – die Erscheinungsformen betrügerischen Handelns sind vielfältig und facettenreich: Ärzte verordnen unter dem Rubrum "Anwendungsbeobachtung" nicht erprobte Medikamente. Die Pharmafirmen honorieren dies mit "Kopfprämien". HNO-Ärzte empfehlen ihren Patienten bestimmte Hörgeräteakustiker und kassieren dafür. Auch Apotheker und Therapeuten spielen oftmals mit. Die Reihe von Beispielen ließe sich leider leicht fortsetzen.

Lange war umstritten, ob sich der für rechtswidrige Zuwendungen empfängliche Kassenarzt der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr strafbar macht, wie sie in § 299 Strafgesetzbuch beschrieben ist – mit einer Strafandrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in schweren Fällen (§ 300 StGB) sogar bis zu fünf Jahren. Dazu müssten die Mediziner "Beauftragte" der Kassen sein, wie es im Gesetz heißt. Aufgrund von zwei sogenannten Vorlagebeschlüssen liegt diese Frage dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor. Sollte der Bundesgerichtshof die aufgeworfene Frage bejahen, dürfte eine Lawine von Strafverfahren über deutsche Kassenärzte hereinbrechen. Was kaum registriert wurde: Zur Entscheidung gestellt ist auch die Frage, ob die Kassenärzte Amtsträgereigenschaft haben. Würde auch dies bejaht, wäre das richtungsweisend – unter anderem hinsichtlich hoher Strafen.

In der Politik wurde parallel dazu ein schon früher diskutierter Vorschlag von der SPD neu ins Parlament eingebracht. Sie will Vorteilsnahmen niedergelassener Ärzte künftig als Straftatbestand im Strafgesetzbuch verankert sehen. Sozusagen als Pendant dazu, dass Korruption und betrügerische Falschabrechnungen in Krankenhäusern mit deutlichen Sanktionen geahndet werden – und zum Schutz von Patienten.

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